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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Paulus gewesen. Aber woran lag das? Zugegeben, Kinder interessierten ihn nicht, es fiel ihm schwer, sich in sie einzufühlen. Er war selber ein altkluges Kind gewesen, schnell erwachsen, und dachte nicht gern an seine frühe Jugend. Freier, glücklicher hatte er sich erst mit zunehmenden Jahren gefühlt, da hatte er das Gefühl des Wachsens, des Reifens genossen. Aber trotzdem, wenn er ernstlich wollte, verstand er Menschen zu nehmen, auch sehr junge; freilich war er hochfahrend und wollte selten. Seinen Sohn Paulus hätte er gerne für sich gewonnen, denn er liebte ihn. Warum versagte er gerade vor ihm und vermochte seine Liebe nicht zu äußern? Wenn er es scharf überprüfte, dann war der Knabe der einzige Mensch, vor dem er befangen war. Immer war er vor Paulus unsicher gewesen, auch jetzt wird er seine Fremdheit nicht überwinden können. Dorion hatte recht.
      Dabei sah er mit Bitterkeit und Freude, daß Paulus ein Sohn war, den man wohl lieben und dessen man stolz sein durfte. Die Glieder des Neunjährigen waren zart und dennoch kräftig, seine Bewegungen leicht und sicher. Auf einem langen Hals saß dünn und braun der Kopf, der Kopf der Mutter, aber die heftigen Augen waren die des Vaters, sie glühten herrisch in dem schmalen, feinen Gesicht.
      In der Schule des Nikias, die er besuchte, hatte er unter seinen Kameraden wenig Freunde. Es war nicht nur, weil ihm das Kleid des römischen Bürgerknaben versagt war – unter den achtzig Schülern des Nikias waren zwei Dutzend ohne den Bürgerstreifen –, aber er galt als hochfahrend. Wenn man mit ihm spielte, wenn er sich an den Hahnenkämpfen seiner Kameraden beteiligte und seine eigenen Hähne ins Spiel brachte, dann endete das häufig nicht nur mit Prügeln – das wäre nicht weiter unangenehm gewesen –, sondern es setzte auch scharfe, bösartige Worte, die man einander lange nachtrug. Dabei hatten die andern Achtung vor Paulus, er war tapfer, das bestritt keiner, selbst sein Hochmut gefiel ihnen, und wenn er mit seinem Ziegengespann, dem schönsten seiner Straße, vor der Schule des Nikias anfuhr, dann waren sie geradezu stolz auf ihn. Das hinderte nicht, daß sie sich über den Ziegengestank lustig machten, der ständig um ihn war; wer ein gutes Gespann haben wollte, durfte die Pflege der Tiere nicht Leibeigenen überlassen, er mußte sich selbst darum kümmern. Von dem Ziegengestank aber war kein weiter Weg zu herzkränkenden Schimpfworten über Judengestank und ähnliches. Paulus wußte, daß es nur der Neid war, der seine Kameraden zu solchen Beschimpfungen trieb, der Neid auf seine Ziegen und auf seinen Vater, doch der Hohn traf ihn darum nicht weniger tief. Er ließ es sich nicht merken, ein römischer Junge mußte seinen Ärger verbeißen. Er preßte die Lippen zusammen und blickte hochfahrend über die andern weg. Er war etwas Besonderes, das hob ihn und das fraß an ihm.
      Im Grunde hätte er leidenschaftlich gern mit den andern gespielt. Wenn sie an ihren Tierpuppen aus Wachs und Ton herumkneteten, an primitiven Karikaturen von Lehrern, Kameraden, Bekannten, dann hätte er gerne mitgetan, aber er war jähzornig, er wußte, es kam leicht zum Streit, und er konnte es nicht verwinden, wenn sie ihn als Juden beschimpften. Wenn sie mit diesem besonderen Schimpf anrückten, dann wußte er nichts zu erwidern. So wurde er, gegen seinen Willen, mehr und mehr zu den Erwachsenen getrieben. Er verbrachte viel Zeit in der Gesellschaft seiner Mutter, bewunderte den alten, steifen, ungeheuer vornehmen Valer, verehrte scheu aus der Ferne die weiße, strenge Tullia, suchte Gespräch mit dem lärmenden, sicheren Obersten Annius, mit dem man sogleich vertraut war, schloß sich immer enger an seinen Lehrer Phineas an. Wenn er mit dem zusammen sein konnte oder wenn er sich mit seinen Ziegen abgab, das war seine beste Zeit.
      Es ging ihm gut. Er lernte leicht; im Griechischen, in der Geschichte glänzte er mühelos über seine Kameraden. Als einziger Sohn eines wohlhabenden Hauses hatte er reichliche Mittel zur Verfügung, war gut angezogen, hatte die besten Manieren und das beste Ziegengespann. Es muß gesagt werden, daß er oft heimlich die weiten Ärmel seines Kleides voll von Wachs und Kitt hatte, um Tierfiguren zu kneten, und daß die Sauberkeit seines Anzuges unter dieser Angewohnheit ein wenig litt. Dennoch gehörte er unbestritten zu den vornehmsten und schicksten Jungen in der Schule des Nikias. Was ihm all diesen Glanz vergällte, das war, ohne

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