Die Söhne.
verlangte, und vor der neuen Anspannung, die die Audienz von ihr verlangen wird, überkommt sie trotz allem eine große Schlaffheit. Vor ihrem Bruder darf sie sich gehenlassen, sich ausschütten, klagen. Kraftlos liegt sie, schließt die Augen, violett verfälteln sich unter den dünn rasierten Brauen die Lider. Sie sieht ihren Bruder nicht, aber sie spürt, wie er auf sie schaut, still, eins mit ihr, der Mensch, der sie am meisten auf der Erde liebt. Und ganz leise, im Aramäisch ihrer frühen Jahre, spricht sie zu ihm, zusammenhanglos, aber sie weiß, er kennt die Zusammenhänge, sie muß es heraussagen, das endlos oft Gedachte, sie muß jammern, klagen, Gott und die Welt anklagen, wie sinnlos man mit ihr umgesprungen ist. »O Agrippa, o mein Bruder«, jammert sie, »warum mußte der Gouverneur diese Jagd für mich veranstalten? Wenn einer mein Freund ist, dann doch dieser Tiber Alexander. Und warum mußte er mir dieses verdammte Pferd Saxo geben? Warum mußte mir dieser läppische Unfall zustoßen? Sag es mir, mein Bruder, erklär es mir. Ich werde verrückt darüber. Als der Alte starb, da war ich so sicher, ich werde die zweite Esther sein. Du selber hast mich nicht mehr Nikion genannt, sondern immer nur Esther. Jetzt hast du mich lange nicht mehr Esther genannt.
Ja, ich weiß schon, es war Glück im Unglück, und alle haben getan, was sie vermochten. Es war ein Glück, daß ich auf der Jagd den Schmerz verbeißen konnte. Es ist ein Glück, daß nur neun Leute um den Unfall wissen und daß sie zuverlässig sind, alle neun. Tiber Alexander wird nichts verraten, es ist nicht in seinem Interesse, und die andern sind von uns abhängig, ich weiß es, und du hast ihnen klargemacht, daß sie Freiheit haben werden und Reichtum, wenn sie bis zum Ende mitspielen, und daß sie dir nicht entgehen können und erledigt werden, wenn sie das nicht tun. Auch die Idee mit dem Gelübde war eine gesegnete Idee von dir. Du bist mein kluger Bruder, und du kennst die Welt. Ja, ja, es wird gut hinausgehen, es muß gut hinausgehen, sag es mir noch einmal, sag es mir oft.
Aber wenn du es mir noch so oft sagst und wenn ich selber es mir sage, der Wurm bleibt doch und bohrt in mir. Es wird nicht gut hinausgehen. Es ist eine Strafe, und man kann sich ihr nicht entziehen. Wir wollten Griechen sein, und wir wollten Juden sein, und das geht nicht. Jahve erlaubt es nicht. Wir wollten zuviel, wir waren zu hochmütig. Es ist eine einzige Sünde, die die griechischen Götter genauso strafen wie Jahve, das ist der Hochmut, die Hybris, und wir haben sie begangen, und das ist die Strafe.
Ja, Titus hat mich geliebt, und er liebt mich noch. Aber selbst wenn es mir glückt, selbst wenn ich jede äußere Spur verwischen kann und nicht hinke, wird nicht jenes Unaussprechliche weg sein, um dessentwillen sie meinen Gang rühmten? Ja, sag es mir noch einmal, sag es mir hundertmal, es ist nicht wegen meines Ganges, daß Titus mich liebt. Aber, frag dich selbst, ist es nicht immer eine läppische Kleinigkeit, die einen Mann anzieht, und wenn sie nicht mehr da ist, selbst wenn er es nicht merkt, ist dann nicht der ganze Zauber fort? O Agrippa, o mein Bruder, es ist vergebens. Alles, was wir tun, und wenn du es noch so klug ausgesonnen hast, ist vergeblich. Es ist unser Hochmut, und es ist die Strafe.«
Drei Stunden später aber, als sie Bürgermeister und Magistrat der Stadt Athen empfing, war sie strahlend und königlich wie je. Und die Stadt Athen freute sich, daß die künftige Kaiserin ihren Delegierten soviel Huld erwies.
Der Prinz Domitian zeigte seinem Freund Marull den Fortgang der Bauten, die er auf der Domäne von Albanum aufführte. Die Villa mit ihren zahlreichen Nebengebäuden, das Theater, die in den See vorgeschobenen Pavillons. Die Architekten Grovius und Rabirius führten, großes Gefolge war da, der Intendant des Prinzen, der Obergärtner, dazu Silen, ein dicker, behaarter Zwerg, den der Prinz um seines grotesken, erschreckenden Aussehens willen für teures Geld gekauft hatte und der mit hoher Fistelstimme bösartige Witze vorbrachte.
Seitdem Bübchen die Erfahrung gemacht hatte, daß er von Titus Geld in jeder Menge haben konnte, setzte er seiner verschwenderischen Laune keine Grenzen mehr. Was er baute, sollte den Staatsbauten seines Bruders nicht nachstehen. Hier die Villa gar war für Lucia bestimmt, und was war kostbar genug, für Lucia den rechten Rahmen zu bilden? Der Spleen des Prinzen trieb seine Architekten
Weitere Kostenlose Bücher