Die Söhne.
und Ingenieure dazu an, immer neue Überraschungen zu ersinnen, barocke Maschinen, um nach Belieben die Wände eines Saales zurückweichen, die Decke verschwinden zu lassen, auf daß alles ringsum sich jeder wechselnden Laune Lucias anpasse. In den Wüsten Afrikas, in den Steppen und Dschungeln Asiens jagte man, um seine Gärten, Lucias Gärten, mit merkwürdigem, schauerlichem und groteskem Getier anzufüllen.
Es war heiß, der Rundgang war ermüdend. Marull war froh, als man zu Ende war und in einem kleinen, dämmerigen Saal Eisgetränke serviert bekam. Domitian bat seinen Freund um ein ehrliches Urteil. Der hielt auch nicht zurück und wog Lob und Tadel gemessen ab. Er hatte Verständnis für den finstern, großartigen Humor des Prinzen, so plump sich dessen Launen manchmal auswirkten. Er hatte sich ursprünglich aus äußeren Gründen dem Domitian genähert: er wollte, nachdem Vespasian ihn aus dem Senat ausgestoßen hatte, sich an dem Kaiser dadurch rächen, daß er sich seinem unlieben Sohn befreundete. Allmählich aber, so scharf Marull alle Mängel des Prinzen sah, war aus dieser äußeren Verknüpfung beinahe etwas wie wahre Freundschaft geworden.
Als Bübchen ihm seine neuen Bauten mit soviel Beflissenheit vorführte, hatte Marull gleich geahnt, daß der Prinz mehr von ihm wollte als bloße Begutachtung. Bald zeigte sich, daß seine Vermutung richtig war. Domitian brauchte seine Hilfe zur Ausführung einer originellen Idee. Er wollte nämlich zur Eröffnung des zur Villa gehörigen Theaters eine Posse spielen, in der die Eroberung einer östlichen, barbarischen Provinz durch die Makedonier gezeigt werden sollte. »Und?« fragte aufmerksam Marull, den Prinzen aus seinen scharfen, hellblauen Augen durch den blickschärfenden Smaragd musternd. Domitians Gesicht rötete sich leicht, die aufgeworfene Oberlippe dehnte sich zu einem bösartigen Lächeln. »Es soll natürlich«, sagte er, »kein verstaubtes, historisches Theater sein, sondern die aktuellen Beziehungen sollen, auch ohne starke Unterstreichung, sofort jedermann deutlich werden. Wenn Sie mir zum Beispiel, lieber Marull, Ihren Adjutanten Johann von Gischala für die Aufführung ausborgen wollten, dann würde mein Brüderchen ohne weiteres merken, worum es geht.«
Marull klopfte nachdenklich mit seinem eleganten Bettelstab den Boden. Er hatte alles durchkostet, was der verwöhnteste Mann der Epoche ausschmecken kann, er war ausgekältet. Sensationen mußten, wenn sie ihm Spaß machen sollten, sehr abgelegen sein. Vielleicht war der einzige Mensch, an dem ihm wirklich lag, eben jener Johann von Gischala, sein Leibeigener. Dieser Johann war im judäischen Krieg Feldherr gewesen, neben dem Kommandanten Simon Bar Giora die bedeutendste jüdische Figur des Krieges; er hatte die Bauern Galiläas in den Krieg getrieben, sie angeführt. Den Simon Bar Giora hatte man ans Kreuz geschlagen, den Johann von Gischala hatte er, Marull, um sehr viel Geld und mit Aufbietung all seiner Beziehungen aus der Beute erworben. Er verwendete ihn jetzt als ständigen Begleiter; Johann hatte, gestützt auf sein ausgezeichnetes Gedächtnis, ihm die Namen und Eigenschaften der Begegnenden zuzuflüstern, deren sich Marull selber nicht entsinnen konnte. Aber es war nicht um seines Gedächtnisses willen, daß Marull an dem Manne hing. Er wollte, der Stoiker, in ihm ein Symbol des Schicksals um sich haben, des mächtigen, unentrinnbaren, mit höchster Einsicht begabten und unverständlichen, ein Symbol menschlicher Größe und menschlichen Sturzes, eine stete, ironische Mahnung.
Wie jetzt der Prinz ihn aufforderte, ihm den Johann für seine Aufführung auszuborgen, zögerte er. Er hatte, was ihm an menschlicher Wärme geblieben war, an diesen Johann gehängt. Zuerst hatte er sich nur einen Spaß mit Bedeutung machen wollen, er hatte erwartet, Johann werde nach soviel hartem und großem Erleben finster und pathetisch sein, erfüllt von dunkler Menschenverachtung. Aber nichts dergleichen. Johann legte trotz seines ausgezeichneten Gedächtnisses eine merkwürdige Fähigkeit an den Tag, seine eigene Vergangenheit restlos zu verdauen. Er hatte alle seine Intensität in den jüdischen Feldzug gesteckt, hatte Zehntausende in den Tod geschickt, sein eigenes Leben unzählige Male aufs Spiel gesetzt, hatte Schicksal ausgeteilt und Schicksal erlitten. War neben Simon Bar Giora im Triumphzug aufgeführt, gegeißelt, in die Gewalt des Marull überstellt worden. Damit war für
Weitere Kostenlose Bücher