Die Söhne.
»Nicht zu fest, Hoheit«, mahnte der Arzt. »Sie machen es dadurch nur schlechter und haben die Schmerzen.« Berenikes Gesicht war wirklich leicht verzerrt. Aber alle hier im Raum wußten, daß sie zehnmal mehr Schmerz auf sich genommen hätte, wenn das die Heilung ihres Fußes auch nur um ein Winziges beschleunigte.
»Hat man wirklich nichts gemerkt?« erkundigte sie sich ängstlich, schon zum drittenmal, bei ihrem Bruder. »Ich würde es dir doch sagen, Nikion«, begütigte sie Agrippa. »Habe ich es dir irgendwann unterschlagen? Bestätigen Sie es ihr, Doktor«, wandte er sich an den Arzt. »Sind wir nicht übereingekommen, Nikion unter keinen Umständen etwas vorzumachen? Sie soll alles genau wissen, jedes Detail.« – »Sie haben mir heute morgen so wenig Ursache gegeben, Hoheit«, erklärte der Arzt, »mich um Sie zu kümmern, daß ich wirklich Muße hatte, die Gesichter zu studieren, die auf der Tribüne und die auf der Straße. Es ist niemand auch nur auf die Vermutung gekommen, es könnte mit Ihrem Fuß etwas nicht in Ordnung sein.« – »Wenn ich lange Kleider anhabe«, überlegte Berenike, »wird es jetzt wahrscheinlich wirklich selten erkennbar. Aber wie ist es, wenn man den Fuß sieht?« – »Ich habe herumgehorcht«, mischte sich die Kammerfrau ein. »In Griechenland so gut wie in Syrien und in Ägypten glaubt jedermann, daß die Prinzessin nur wegen ihres Haares und des Gelübdes zögert, nach Rom zu gehen.«
Berenike war tapfer, gewohnt, ihre Angelegenheiten mit sich allein auszumachen. Aber es drängte sie, sich immer von neuem bestätigen zu lassen, daß ihr Fuß völlig verheilen werde. Sie verlangte nach immer neuen Beruhigungen. Heute morgen hatte man ihr hier in der Stadt Athen einen Ehrenbogen errichtet, die Zeremonie, von der sie zurückkam, war lang und ermüdend gewesen, der Gouverneur der Provinz hatte gesprochen, der Bürgermeister von Athen, der Präsident der Akademie, sie selber hatte erwidert, und während dieser ganzen Zeit hatte sie stehen müssen. Sie fühlte sich müde, aber sie hatte das Gefühl, sie habe gut durchgehalten. »Fester, knete mich fester«, forderte sie nochmals. Trotz allem, was der Arzt sagte, glaubte sie, durch noch energischeres Training, durch noch mehr Schmerz könne sie eine raschere Genesung erzwingen.
Sie hat die Stadt wahrhaftig königlich beschenkt, hat ihr eine große Wandelhalle gestiftet, ein glanzvolles Bade-Etablissement. Heute abend wird der Bürgermeister ein zweites Mal bei ihr vorsprechen. Sie weiß, warum. Griechenland rühmt ihre leidenschaftliche Neigung für griechische Kultur. Sie ist die einzige Frau, der die Stadt einen Ehrenbogen errichtet hat. Jetzt, hofft man, wird sie bei Titus der Stadt und der Provinz die Rechte und Privilegien neu erwirken, die Kaiser Nero erteilt und Vespasian annulliert hat. Berenike ist geneigt, sich für diese Wünsche einzusetzen, sie freut sich, daß man mit solcher Sicherheit in ihr die künftige Kaiserin sieht; aber nicht ohne Sorge denkt sie daran, daß sie sich bei der Audienz heute abend ein zweites Mal wird zusammenraffen und repräsentieren müssen. Sie kann zwar die Reden der Herren sitzend anhören, aber dann, wenn sie erwidert, muß sie aufstehen und eine geraume Zeit stehen bleiben. Disziplin. Damals, unmittelbar bevor Titus nach Jerusalem aufbrach, bei dem großen Abschiedsbankett in Alexandrien, hatte Titus von römischer Disziplin gesprochen; es waren Worte, die ihm tief aus dem Innern kamen, und sie hat ihn sehr geliebt für diese Worte. Nun hat sie Gelegenheit, Disziplin zu zeigen. Bis jetzt, glaubt sie, hat sie sich nicht schlecht gehalten.
Drei Wochen noch, das ist das Äußerste, länger kann sie die Reise nach Rom nicht hinauszögern. »Werden wir es schaffen, Strato«, wendet sie sich an den Arzt, zum fünfzigstenmal, »in drei Wochen?« Und »Ja, Hoheit«, erklärt zum fünfzigstenmal der Arzt. »Sie werden es schaffen, auch mit der Hälfte Ihrer Energie.«
Man ist zu Ende mit der Massage. Der Arzt Strato mit Hilfe der Kammerfrau umwickelt das geschwollene, verdickte, zerbrochene Bein mit Kräutern und Verbänden, dann läßt er Berenike und ihren Bruder allein. Sie liegt auf dem Ruhebett in dem grünlichen, von Wasserdunst erfüllten Raum, sie liegt nackt, sie bewegt den kranken Fuß mechanisch auf und ab, sie hat sich gewöhnt, zu trainieren, immerzu, allen Abmahnungen zum Trotz.
Aber nun, nach der ungeheuren Anspannung, die die Zeremonie von ihr
Weitere Kostenlose Bücher