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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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benötigte, war ungeheuer, etwa fünfzehntausend Menschen; überdies mußte man bei der größeren Hälfte der diesmal auf den Aufführungslisten Bezeichneten von vornherein das schwarze »P« beifügen, den Anfangsbuchstaben des Wortes »Periturus«, »vermutlich verloren«: sie waren bestimmt, im Lauf der Spiele zu krepieren. Nun standen zwar aus der jüdischen Kriegsbeute von vor zehn Jahren noch etwa achttausend Stück Leibeigene zur Verfügung. Aber war es taktvoll, dieses Material bei einer Veranstaltung zu verwenden, die zu Ehren einer jüdischen Prinzessin abgehalten werden sollte, noch dazu der künftigen Kaiserin? Auf alle Fälle tat man gut, wenn man, um notfalls auf dieses Hauptreservoir verzichten zu können, anderes Material in hinreichenden Mengen bereitstellte. In der großen Stadt konnte man immer Menschen auftreiben, die sich, da sie am Verhungern waren, als Fechter für die Arena anwerben ließen. Zwar war die strenge Zucht der Kasernen gefürchtet, und der Eid, den man bei der Anwerbung zu leisten hatte, »sich mit Ruten hauen, mit Feuer brennen, mit Eisen töten zu lassen«, wirkte abschreckend. Andernteils aber war die Verpflegung in den Kasernen berühmt, es war die reine Mast, und die Aussicht, zweimal im Leben, nämlich bei dem großen öffentlichen Festmahl, das man den Fechtern vor ihrem Auftreten gab, und in der Arena selber, angestarrt zu werden wie ein Senator, entschädigte manchen für die Furcht vor dem Tode. Auch galt man als Fechter bei den Frauen; von gewissen Damen der Hocharistokratie war bekannt, daß sie sich mit Vorliebe Fechter als Genossen ihrer Nächte aussuchten, besonders unmittelbar vor ihrem Auftreten, was zwar die Chance, mit dem Leben davonzukommen, minderte, aber doch seinen Reiz hatte. Trotz dieser Lockmittel konnten sich die Organisatoren nur mittels einer ungeheuren Werbetätigkeit die nötige Anzahl von Fechtern verschaffen, und sie zeigten eine erfinderische Phantasie. Simeon und Constans sahen und hörten einmal mit brennendem Interesse mit an, wie ein Direktor der Fechterschulen einem Berichterstatter des »Tagesanzeigers« das neu einge stellte Material vorführte, eine ganze Anzahl Freigeborener. Der Direktor wies vor allem auf einen, übrigens ziemlich mikkerig aussehenden, jungen Menschen hin, der den Namen einer anständigen Familie trug. Dieser Jüngling erklärte, er habe sich deshalb als Fechter verpflichtet, weil er das Handgeld brauche, um die Leiche seines Vaters, der als einer der letzten an der Seuche gestorben war, der Verbrennung zu entziehen und sie, dem Testament zufolge, beerdigen zu lassen; wahrscheinlich war dieser Vater ein sogenannter »Gläubiger« oder Christ gewesen. Der Berichterstatter versprach sich viel von der Wirkung dieser romantischen Geschichte.
      Die Fechter waren übrigens zumeist umgängliche Burschen und ließen sich, wenn sie nicht gerade trainierten, aßen oder schliefen, ohne weiteres mit den beiden Knaben in Gespräche ein. Sachkundig beurteilten Simeon und Constans ihre Technik, betasteten ihre Waffen, befühlten ihre Muskeln, gaben Ratschläge.
      Bisher war das Lieblingsspiel der römischen Jungen »Engländer und Soldaten« gewesen. Die wilden Engländer hatten vom letzten Krieg her in Rom eine nachdrückliche Erinnerung hinterlassen, vor allem durch ihre blaue, barbarische Kriegsbemalung, und zum Ärger ihrer Mütter waren die Jungen nicht davon abzubringen, sich blau anzuschmieren und Engländer zu spielen. Jetzt, und nicht zuletzt auf Betreiben des Simeon, wurde dieses Spiel durch das Fechterspiel ersetzt. Die Jungen stachen und hauten mit Holzwaffen aufeinander ein, und weithin durch die Straßen, schauerlich, im Sprechchor, gellte und heulte ihr Schwur, »sich mit Ruten hauen, mit Feuer brennen, mit Eisen töten zu lassen«. Oh, wie bedauerten sie, daß sie nicht das vorgeschriebene Mindestalter hatten, um diesen Schwur in Wahrheit zu leisten und Fechter zu werden.
      Das Niederträchtigste blieb, daß man, da man noch nicht vierzehn Jahre alt war, nicht einmal Aussicht hatte, in den Zuschauerraum des Amphitheaters einzudringen. Simeon zwar vermaß sich, er werde es erreichen. Wieder versprach ihm Constans das graue Eichhörnchen, wenn er, auf welche Art immer, auch ihn in den Zuschauerraum einschmuggeln könnte. »Beim Herkel«, versicherte Simeon, mit großartiger Beiläufigkeit,
    »das werden wir schon deichseln.«
      Aber dieses leichtsinnige Versprechen kostete ihn schlaflose Nächte. Ja, oft

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