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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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auch bei Tage versank er in Nachdenken. Manchmal, im Bewußtsein, daß seine Mutter nicht da war und er also keine langen, lästigen Fragen über den Genuß verbotener Nährmittel zu fürchten habe, kaufte er sich wohl eine mit Honig bestrichene Eselswurst, und dann konnte man ihn klein und breit auf den hohen Stufen irgendeines Tempels sitzen sehen, träumerisch die Wurst verzehrend und Pläne wälzend, wie er sich wohl mit Constans während der Spiele in das Amphitheater einschleichen könnte.

    »Was meinen Sie, mein Demetrius?« unterbrach plötzlich Marull die Arbeit am Manuskript des »Seeräubers Laureol«. »Wie wäre es, wenn wir die Seeräuber zu entlaufenen Leibeigenen machten?« Der Schauspieler Demetrius Liban sah hoch. »Wie das?« fragte er. Seine Unlust war mit einemmal fort, sein ganzes, gedunsenes Gesicht spannte sich.
      Auch für ihn waren diese Wochen vor den Spielen eine große Zeit. Seit den Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Kaiser war er nicht mehr öffentlich aufgetreten. Er hatte sich für eine große Gelegenheit aufsparen wollen: nun, mit den Hunderttägigen Spielen, war diese große Gelegenheit da. Seit seiner Kindheit war es sein Lieblingstraum gewesen, den Seeräuber Laureol darzustellen, den beliebtesten Verbrecher des Jahrhunderts, Helden eines alten Volksspiels des Catull. Immer wieder hatte er es sich versagt, diese Rolle zu spielen, weil er sich ihr nicht gewachsen fühlte. Jetzt, nach so vielem Auf und Ab, war er innerlich reif, jetzt konnte er der alten, halbtoten Figur frischen Odem einhauchen, den Odem seiner eigenen Zeit. Allein er war mit der Arbeit nicht so gut vorangekommen, wie er gehofft hatte. Auch Marull, der ihm das Buch schrieb, schien schwunglos. Schon seit drei Wochen plagten sie sich ab; doch das Manuskript, sie fühlten es beide, ohne es sich einzugestehen, blieb lahm. Das war nicht der »Laureol«, von dem sie geträumt hatten.
      Wie nun Marull plötzlich diese neue Idee mit den Leibeigenen in die Debatte warf, hob den Schauspieler neue Hoffnung. »Sie werden sehen, mein Demetrius, es geht«, fuhr Marull angeregt und zuversichtlich fort. »Ich rekapituliere, was wir für das Vorspiel haben«, sagte er auf die sachliche Art, die er sich von seiner juristischen Betätigung her angewöhnt hatte. »Gesindel hat sich zusammengetan, Deserteure, entlaufene Leibeigene zumeist, wenn wir meinen neuen Einfall bringen wollen. Sie haben ihren ersten Handstreich gemacht, ihr erstes Schiff gekapert und sind jetzt in einer versteckten Bucht eingelaufen, um in Ruhe die Beute zu teilen. Sie sind vergnügt, sie malen sich aus, wie sie diesen ersten Verdienst aus ihrem Räuberdasein verwenden wollen. Die meisten tragen das ›E‹ eingebrannt, das die zur Zwangsarbeit bestimmten Leibeigenen kennzeichnet.«
      »Ich sehe schon«, sagte Demetrius. »Ausgezeichnet. Und jetzt lassen wir einen Hausierer auftreten, von dem die Kerle zunächst ein großes Quantum der Salbe des Scribon Larg kaufen, um dieses Zeichen verschwinden zu machen.« – »Ja«, sagte Marull. »Dabei haben sie natürlich gar kein Zutrauen zu der Salbe. Sie fürchten, der Mann hängt ihnen Schwindelware auf, wie immer heutzutage.« Der Sekretär stenographierte eifrig mit. »Finden Sie nicht«, fragte Marull, »daß wir durch diese Geschichte mit den Leibeigenen gewinnen? Merken Sie, worauf ich hinauswill?«
      Und ob Liban es merkte. Das war der Nagel, das war die Lösung. Auf diese Art endlich hatte man die so heiß ersehnte Aktualität. Wenn irgend etwas aktuell war, dann das Leibeigenenproblem. Seit Jahrzehnten gingen die Bestrebungen der modernen Philosophen und Juristen dahin, die Existenz der Leibeigenen zu erleichtern. Niemand selbstverständlich, sei es Grieche oder Römer, sei es Jude, Ägypter oder Christ, sei es Ideolog oder praktischer Politiker, denkt daran, die Leibeigenschaft ganz aufzuheben. Es ist klar, daß dann jede geregelte Produktion, daß Zivilisation und gesellschaftliche Ordnung dann aufhören müßten. Immerhin verkünden eine ganze Anzahl moderner Schriftsteller und Politiker unablässig, es sei vernünftiger und entspreche mehr den heutigen humanen Anschauungen, die Abhängigkeit der Leibeigenen zu mildern. Sie haben auch in den letzten Jahrzehnten einige Erfolge erzielt. Schon ist es zum Beispiel zum Ärger der Konservativen und der Gruppe der »Echt Römischen Männer« durch Edikt verboten, Leibeigene ohne Richterspruch zu töten; die Liberalen haben sogar einen

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