Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Soldaten

Die Soldaten

Titel: Die Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
hatten.
    Von den Holtzenauen, MerDilli, Jonis und Behnk hatten die erste Wache, alle anderen legten sich hin. Es war empfindlich kalt geworden. Die Männer sehnten sich nach einem prasselnden Lagerfeuer, aber selbst dann, wenn die Leutnants eins gestattet hätten, wäre nirgendwo Brennholz zu finden gewesen.
    Fenna wurde geweckt, als die erste Wachschicht beendet war. Er hatte nicht das Gefühl, ein Auge zugetan zu haben. Mit dem morgigen Tag würden sie ihren bisherigen Rekord, was das Vordringen ins Feindesland anging, überschreiten. Ab morgen waren es mehr als drei Tage hin und zurück. Fenna spürte, wie allein schon diese Vorstellung seine Knochen frösteln ließ.
    Die Wache blieb ereignislos, aber Fenna verlor sich schier in seltsamen Überlegungen. Er dachte nach über die Stimme Onjalbans. Wie sie wohl klingen mochte. Er hatte sie nie gehört. Hatte Onjalban sich Gollbergs Soldaten überhaupt durch Worte mitgeteilt oder vielmehr durch die Beschriftung seines Leibes?
    Die Wachschicht war vorüber, Leutnant Gyffs übernahm. Auch sie sah in dieser Nacht spitzgesichtiger und kleiner aus als jemals zuvor. Die beiden Leutnants vermieden jeglichen Augenkontakt.
    Bibbernd lag Fenna in seiner Decke und lauschte dem Knistern des Sandwindes und den Magengeräuschen der Pferde. Zum ersten Mal gelang es ihm nicht mehr, sich an die Straßen von Chlayst zu erinnern. Ihm war, als wäre alles von erstarrter Schlacke und wirbelnden Sandwolken vereinnahmt worden.
    Die Nacht zog sich hin, als hätte die Sonne ihre Pflicht vergessen.
    Dann endlich graute trübe der vierte Tag.
    Nach einem kargen, kalten Frühstück setzte sich die Kolonne abermals in Bewegung.
    Und schon am frühen Morgen zeigte der Himmel diesmal Anzeichen von Leben. Es waren Echsengeier in verschiedenen Größen – der Gewaltigste von ihnen erinnerte mit seinen weit gebreiteten Lederschwingen bereits an einen Drachen. Sie strebten aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen dem Norden entgegen und führten auch noch kleinere Vögel mit sich, die ein schwarzes Gefieder hatten und wie Raben aussahen, nur mit längeren, im Flug angewinkelten Storchenbeinen.
    Jovid Jonis machte eifrig Skizzen und notierte auch viel mit kratzender Feder. Er versuchte, was das Dokumentieren der Landschaft anbelangte, die Aufgaben eines Kartenmachers mit denen eines Schreibers wie Lement in Einklang zu bringen.
    »Gefällt mir gar nicht«, sagte der vor ihm auf dem Kutschbock sitzende Fergran von den Holtzenauen.
    »Was denn?«
    »Diese Vögel. Die fliegen alle dorthin, wo wir auch hinfahren. Wo Gollberg ist. Und was wollen die Viecher da, wenn nicht Beute machen?«
    Von den Holtzenauens Wagen war der einzige ohne einen Vorgesetzten an Bord, deshalb konnte niemand dieses Gespräch unterbinden.
    »Sind das denn … Aasfresser?«, fragte Alman Behnk bang.
    »Na klar«, knurrte Sensa MerDilli. » Echsengeier . Wonach hört sich das denn an? Wenn wir jetzt im Süden wären, in den trockenen Sonnenfeldern oder zwischen Targuzwall und Silberner Krone, und wir würden Schwärme von Geiern auf einen ganz bestimmten Kurs zusteuern sehen, dann wüssten wir, was es dort zu erwarten gibt.«
    »Geier bilden keine Schwärme«, widersprach Jovid Jonis. »Höchstens dort, wo das Aas liegt.«
    »Na und?«, schnauzte MerDilli. »Das sind eben Echsen geier, die sind anders.«
    MerDilli war es auch, der beim mittäglichen Essenfassen laut sagte: »Es ist eine verdammte Schinderei, bei dieser Kälte nichts Warmes essen und trinken zu können.«
    »Leutnant Gyffs und ich essen und trinken ebenfalls nichts Warmes, Soldat MerDilli«, entgegnete Leutnant Fenna drohend.
    MerDilli knickte sofort ein. »Ich meine ja nicht, dass Ihr uns schindet, Leutnant. Es sind … die Umstände. Dieses Land.«
    »Dieses Land, ja.« Fenna blickte sich um. »Und wir alle konnten wählen. Wir konnten zu Hause bleiben bei Muttern am warmen Kamin – oder wir konnten Soldaten werden in der Festung Carlyr. Und wir alle haben dieselbe Entscheidung getroffen. Und Hauptmann Gollberg und Oberst Jenko ebenfalls.«
    Die Männer schlürften ihr Quellwasser, kauten ihre Brot- und Keksrationen, ihre Hartwurst und ihren Schnittkäse. Der Himmel war wieder leblos. Nur die Wolken führten darin ihr strudelndes Ballett auf.
    Im Laufe dieses vierten Tages passierten sie vier weitere Wegmarkierungen der Ersten Kompanie, allesamt aus aufgeschichteten Steinen plus Stofffetzen bestehend und allesamt dazu angefertigt, auf leichte Richtungsänderungen

Weitere Kostenlose Bücher