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Die Soldaten

Die Soldaten

Titel: Die Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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erfüllen.«
    Gollberg musterte den Neuen. In seinem Kinn mahlte es. »Na schön, na schön, Leutnant, ich will Euch nicht gleich an Eurem ersten Tag allzu sehr ins Gebet nehmen. Wir haben in Carlyr einen etwas anderen Rhythmus als anderswo auf dem Kontinent. Bei uns geht es nicht so sehr darum, schnell, schnell! und zack, zack! zu sein. Bei uns geht es eher darum, dass wir uns im Klaren darüber sind, dass jede einzelne Aktion, die wir einleiten, von gewaltiger Tragweite für den gesamten Kontinent sein kann. Nirgendwo sonst gibt es eine Festung, die ein riesiges, unbekanntes Feindesland überwacht. Nirgendwo sonst gibt es diese Verantwortung. Nirgendwo sonst kann ein einziger Fehler derartig tiefreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Deshalb machen wir hier oben einfach keine Fehler. Habt Ihr mich in dieser Hinsicht verstanden, Leutnant, äh …?«
    »Fenna. Natürlich.«
    »Gut. Leutnant Fenna. Ich denke, wir werden schon miteinander auskommen. Ich werde morgen Eure Truppe noch mal inspizieren und schauen, ob Ihr die richtige Wahl getroffen habt.«
    Unwillkürlich runzelte Fenna die Stirn. Was sollte das denn? Wollte der Hauptmann seine Entscheidungen etwa wieder rückgängig machen und dadurch seine Autorität vor den Männern untergraben? »Jawohl, Hauptmann«, sagte er zögernd. »Wir beginnen bei Sonnenaufgang mit der Ausbildung.«
    »Na, ich werde etwas später dazustoßen. Schließlich muss ich noch Oberst Jenko Meldung machen. Wir haben wieder Herausragendes entdeckt dort oben.«
    »Darf ich neugierig sein, Hauptmann Gollberg?«
    Das immerhin war die richtige Taktik. Der Hauptmann begann vor Selbstgefälligkeit im Fackellicht zu glühen. »Es gibt noch Überlebende. Wir finden immer wieder Anzeichen dafür. Stellt Euch vor: Im Regenmond bereits sind die kläglichen Überreste des Feldzuges durch Carlyr durchgekommen, und seitdem wird dieser Feldzug als gewaltige Niederlage verzeichnet. Aber auch heute noch – drei Monde später – können wir Anzeichen dafür finden, dass sich noch einige von uns da oben herumtreiben. Vielleicht muss die Geschichte des Feldzuges neu geschrieben werden. Vielleicht haben wir tatsächlich einen Teil des Affenmenschenlandes erobert.«
    »Aber warum kommen die Überlebenden nicht zurück? Der Feldzug ist doch offiziell beendet.«
    »Vielleicht wissen sie das nicht. Vielleicht halten sie eine Stellung, treu bis in den Tod. Sechshundert Mann sind zurückgekommen, getürmt, unter der Führung des Schwächlings Gayo. Aber 1400 Mann sollen gefallen sein? Das habe ich nie auch nur einen einzigen Augenblick lang geglaubt. Das ist nichts als Propaganda derjenigen, die von Anfang an gegen diesen Feldzug votiert haben. Ich sage Euch, Leutnant Fenna, da oben sind noch zweihundert, dreihundert unserer Jungs und Mädchen und machen den Affen den Sieg streitig.«
    »Und was sind das für Anzeichen, die Ihr dort findet?«
    »Tote Affenmenschen. Lagerfeuer mit frischem Menschenkot. Eine Schrift, in den Boden gekratzt: Den Toten keine Ruhe . Wir haben auch schon einen Menschen gesehen, aber er ist vor uns geflohen. Der Ärmste hat womöglich die Orientierung verloren oder den Verstand. Oder unsere Pferde haben ihn erschreckt.«
    »Das ist ja alles kaum zu glauben. In Chlayst weiß man davon gar nichts.«
    »Weil wir bisher keine Beweise vorlegen konnten. Obwohl ich den vornehmen Herren in Aldava liebend gerne frischen Menschenkot auf den Tisch schmeißen würde. Aber wir werden unseren Beweis bald haben. Deshalb setze ich meine Leute Tag und Nacht den Gefahren dieses Landes aus. Wir werden die Überlebenden aufspüren und die Geschichte dieses Feldzuges neu schreiben. Und jetzt entschuldigt mich bitte, Leutnant. Ich bin drei Tage und drei Nächte durch gelbes Gas geritten. Jemand aus Chlayst müsste eigentlich nachempfinden können, wie ermüdend das ist.«
    »Selbstverständlich, Hauptmann.« Fenna salutierte, und Gollberg erwiderte den Gruß mit der Lässigkeit des Vorgesetzten. Dann kehrte Fenna in seine Unterkunft zurück. Die Unruhe im Hof dauerte noch an. Irgendwann kam Hauptmann Gollberg dann ins Offiziersquartier gestapft und bezog sein Zimmer auf der anderen Seite des Ganges.
    Stille. Endlich Stille.
    Über der Festung schrien Käuzchen.
    Fennas Gedanken rasten noch und gingen in unruhige Träume über.
    Er sah die Überlebenden vor sich, langhaarig, fransig und bärtig wie Affenmenschen. Verbarrikadiert in den Trümmern einer gescheiterten Eroberung hielten sie durch gegen

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