Die Somalia-Doktrin (German Edition)
haben Glück, dass wir noch leben, weißt du das? Wundert mich, dass die Soldaten uns nicht verfolgt haben. Wahrscheinlich um Benzin zu sparen. Gut, dass wir Nasir haben. Sonst hätten wir ganz schön alt ausgesehen.«
Jim fuhr sich mit der Hand durch das struppige Haar. »Hast du eine Ahnung, wo wir sind?«
»Nasir meint, wir sind noch in Awdal. Irgendwo in der Nähe der Grenze. Meiner Ansicht nach sind wir heute Nacht irgendwie im Kreis gefahren.«
Jim zog das alte graue T-Shirt über, das er eingepackt hatte. Er wollte, er hätte mehr Voraussicht bewiesen und mehr Sachen zum Wechseln mitgenommen. Maxine war besser vorbereitet. Aber wie hätte er auch mit so etwas rechnen sollen?
»Irgendwelche Pläne?«, fragte er.
»Nasir meint, wir sollten versuchen, über die Grenze zu kommen. Falls die Äthiopier sie zugemacht haben, fahren wir eben durch den Busch. Bis Addis sollte es nicht allzu weit sein. Hier gibt es zu viele Straßensperren. Wir kämen nie zurück nach Hargeysa.«
Jim sagte nichts. Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihn ausgelaugt und zusammen mit Erinnerungen auch die Angst aus seiner Zeit als junger Soldat wiederaufleben lassen. Jim hatte Andrew kaum gekannt, aber er schien ihm ein anständiger Kerl gewesen zu sein. Was Marie und Oliver anbelangte, so hatte er sie nun wirklich nicht sonderlich ins Herz geschlossen; mit der brutalen Ermordung Olivers jedoch tat er sich schwer. Er machte sich Vorwürfe, dass er sich nicht selbst um die Sicherheit des Konvois gekümmert hatte. Diese NRO-Typen hatten doch keine Ahnung. Harry, falls er wirklich ein Ex-CIA-Mann war, hätte sie besser einweisen sollen.
Maxine bedachte ihn mit einem fragenden Blick. »Was hast du denn?«
Es war an der Zeit, ihr noch die eine oder andere Information aus der Nase zu ziehen.
»Wieso haben die Oliver umgebracht?«, sagte Jim. »Was haben die sich davon erhofft?«
»Reine Terrortaktik«, sagte Maxine und setzte sich auf die Hacken. »Ist nicht das erste Mal, dass die einen umbringen: zuerst die italienische Krankenschwester aus der Klinik in Borama, dann die beiden alten Briten aus der Realschule, danach die kenianische Entwicklungsarbeiterin und ihr Fahrer bei einer Straßensperre kurz vor Hargeysa. Damals haben wir damit begonnen, bewaffnet zu fahren.«
»Muss ein ziemlicher Schock für euch gewesen sein.«
»Vorher wurde es schon mal brenzlig, zum Beispiel an einem Checkpoint oder so. Aber wir waren doch ziemlich sicher. Wir sind hier nicht in Somalia. Du hast es ja gestern selbst gesagt. Hier in Somaliland war es bisher nie derart schlimm.«
»Aber warum?«
»Terroristen. Religiöse Fanatiker. Milizen, die ein vereintes Somalia wollen. Oder eine Mischung aus allen dreien.« Maxine begann wieder in ihrem Rucksack zu wühlen. »Hängt ganz davon ab, mit wem du dich unterhältst. Die Typen, die die Kenianerin umgebracht haben, versuchten nach Äthiopien zu entkommen. Irgendwelche Dorfbewohner haben sie erwischt und der Polizei übergeben. Acht wurden zum Tode verurteilt, sieben zu lebenslänglich. Und denk dran, dass Gefängnis hier kein Kinderspiel ist. Also ich wäre da lieber tot.«
»Du sagst, man hat euch bewaffnet?«
»Mit Pistolen.« Sie holte eine Glock aus dem Rucksack. »Ich hoffe, dass ich sie nie brauche.« Sie warf sie zurück in den Sack.
»Was meint Harry denn dazu? Warum stellt er keine Sicherheitsberater ein?«
»Er beschäftigt sich damit«, sagte Maxine.
»Bisschen spät. Was ist mit Olivers und Andrews Mördern? Oder den Leuten, die den Typ aus der Wüste auf dem Gewissen haben? Und der verschwundene Konvoi? Was unternimmt Harry denn da?«
»Hurra!«, rief sie aus und zog eine Haarbürste und eine kleine Schatulle aus dem Sack. »Okay, wir sehen uns. Nasir meint, wir sollten gleich los.«
Sie verließ die Hütte durch die kleine Öffnung, die als Tür diente. Sie war seinen Fragen elegant ausgewichen. Er legte sich zurück und musterte die Holzkonstruktion, die den Rahmen der Hütte bildete, sowie die komplexen Muster der geflochtenen Matten der Außenhaut. Eine Reihe von Töpfen und anderen Kochutensilien hingen von Nägeln rundum an der Wand.
Sarah hatte ihm nahegelegt, keiner Menschenseele zu trauen. Er musste eine Möglichkeit finden, ein Update aus Paris zu bekommen, um zu sehen, ob sie etwas erfahren hatte. Vielleicht in Addis. Hier draußen hatte er keinen Empfang. Inzwischen musste er unbedingt Maxine und Nasir ausholen, vor allem über den verschwundenen Konvoi und den
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