Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)
unterwegs sein auf der Jagd nach Jobs. Wir können ein eigenes Haus haben. Ein richtiges Heim. Keine beschissene Wohnung mehr wie in London.«
»Ich liebe diese beschissene Wohnung«, warf Julia ein und sah sie vor ihrem inneren Auge: den orangefarbenen Sessel von Arne Jacobsen, den sie bei einem Garagenverkauf in einem Londoner Vorort ergattert hatte, das weiße Ledersofa von Conran, das sie mit dem ersten Geld von einem Zeitschriftenshooting gekauft hatte, das Porzellan und Besteck, das sie auf dem Markt in Bermondsey gefunden hatte, aufgestellt und arrangiert vor Wänden, die sie selbst gestrichen und mit Bildern und Fotos von Flohmärkten und Antiquitätenläden jeder Stadt, in der sie je gewesen war, geschmückt hatte.
Jetzt, da sie mit der Möglichkeit konfrontiert wurde, ihr Heim der letzten zehn Jahre aufzugeben, wurde ihr klar, dass sie sich ein Nest gebaut hatte, ohne es selbst zu merken.
»Na, gut, vielleicht behalten wir die Wohnung, wenn du mal zum Modeln drüben bist.«
Bei der Erwähnung ihrer Arbeit zuckte Julia zusammen. »Booker, Verdrängung ist nicht nur ein Wort. Ich bekomme keine Modelangebote mehr. Nicht solche wie früher. Ich bin fünfunddreißig. Ich komme nicht mehr aufs Cover, höchstens noch auf das von Ü40-Magazinen. Letzten Monat hatten wir ein Katalogshooting für Land’s End, Herrgott nochmal. Als Nächstes werde ich das Werbegesicht für Seniorenwindeln.«
»Was redest du da für einen Blödsinn?«, fuhr er sie an. »Julia, das ist doch Schwachsinn! Du vergisst, wie viele Jahre ich im Geschäft war. Du hast mehr Arbeit, als du schaffen kannst. Ja, mir ist schon klar, dass es nicht Elle und die Vogue sind, aber du bist auch kein Fall für die Puppenklinik. Du bist immer noch ein umwerfend aussehendes Mädchen, und du kannst so lange als Model arbeiten, wie du willst.«
»Vielleicht will ich gar nicht mehr als Model arbeiten«, bemerkte Julia.
»Auch gut«, sagte Booker müde. »Dann mach was anderes. Sagt ja niemand, dass du modeln musst. Ich dachte nur, du wärst in letzter Zeit so trübselig gewesen, weil du mit den Angeboten nicht mehr zufrieden bist, die du bekommst.«
»Das ist es ja gerade. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Nach dem ersten Semester hab ich das College geschmissen und …«
»Und jetzt hast du die Möglichkeit, wieder zur Schule zu gehen, wenn du Lust dazu hast«, unterbrach er sie. »Oder auch nicht. Mir ist es völlig egal. Ich will dich nur bei mir. Ich möchte, dass wir heiraten, ein Kind kriegen – falls meine Spermien noch was taugen – und zusammen alt werden. Ist das so furchtbar?«
»Nein. Das ist nicht furchtbar. Das ist süß. Du bist süß, und ich bin eine unzufriedene Ziege.«
Jetzt, dachte sie. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ihm die Wahrheit zu sagen. Dass sie vielleicht keine Kinder bekommen konnte. Es den Freundinnen zu sagen, war eine so große Erleichterung gewesen. Wie hatte sie so viele Jahre mit diesem Geheimnis herumlaufen können? Wovor hatte sie nur so große Angst gehabt?
Julia ging hinüber zum Schlafzimmerfenster und schaute auf den Strand hinunter. Es war Vollmond, und sie sah ein Pärchen am Ende des Holzstegs auf der kleinen Aussichtsplattform stehen. Es waren ein Mann und eine Frau, sie standen nah beieinander, jetzt umarmten sie sich. Die Frau drückte sich an die Brust des Mannes, und der Anblick war so sinnlich, dass Julia fast den Blick abgewandt hätte. Aber nur fast. Kurz darauf löste sich die Frau von dem Mann und lief auf das Haus zu.
»Du lieber Himmel!«, stieß Julia aus. »Das ist ja Ellis!«
»Was?«, fragte Booker. »Was ist passiert?«
»Nichts.« Julia schmunzelte. »Ich habe nur gerade gesehen, wie unsere Ellis draußen im Mondlicht mit einem Fremden rumknutscht.«
»Ich dachte, es wären nur Mädels da. Keine Männer erlaubt.«
»Stimmt auch. Sind keine hier«, versicherte Julia ihm.
»Julia!« Bookers Stimme war eindringlich. »Hast du ein einziges Wort von dem gehört, was ich gerade gesagt habe?«
Sie schaute auf Ellis hinunter, die im Stechschritt auf das Haus zukam. Sie trug einen Schlafanzug, du liebe Güte. Und selbst von der Stelle aus, wo Julia stand, konnte sie das verträumte Lächeln auf Ellis’ Gesicht sehen. Der Mond tauchte alles in ein seltsam helles Licht. Schön für Ellis. Aber wer um alles in der Welt war der Mann? Er blieb noch lange auf der Plattform stehen und blickte zum Haus herüber. Julia hatte das Licht in ihrem Zimmer nicht angeknipst, war daher
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