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Die Sonne war der ganze Himmel

Die Sonne war der ganze Himmel

Titel: Die Sonne war der ganze Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Powers
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ein eintöniger Trott, aber das tat mir gut. Manchmal setzte sich eine schildpattfarbene Katze in den verkrauteten Blumenkasten vor dem Fenster. Sie hatte die Angewohnheit, über Gesimse und Auskragungen zu balancieren und von den Balkonen auf die Gehäuse der Klimaanlagen zu springen. Ich versuchte mehrmals, sie zu streicheln. »Braves Kätzchen«, sagte ich, »gutes Kätzchen«, doch sie miaute nur, rieb ihren Kopf an den Zweigen. Über meiner kleinen Gasheizung hatte ich einige Orden auf einer Schnur aufgefädelt. Das Foto von Murph, das ich damals in einem Eimer gefunden hatte, steckte neben dem Fenster in einem Riss im Putz. Selten setzte ich einen Fuß vor die Tür.
    Ich ging nur nach draußen, um in der Stadt einen Kasten Bier und eine Packung tiefgekühlter Fleischpasteten zu kaufen, und wenn ich die über den Fluss führende Fußgängerbrücke auf dem Rückweg überquerte, den Blick auf meine Stiefelkappen gesenkt, wurde ich mir meines schleppenden Ganges bewusst, begriff, dass ich seit meiner Heimkehr nur noch schlurfte. Wenn es kalt war, stellte ich ein paar Biere über Nacht draußen auf die Fensterbank. Ich wärmte die Fleischpasteten direkt auf der Herdplatte auf, weil ich keinen Backofen hatte. Bei Anbruch der Nacht, wenn Eisblumen auf den Fensterscheiben erblühten, blätterte ich aus Mülltonnen gefischte Zeitschriften durch, suchte im Nachrichtenteil nach den Namen der Orte, an denen ich gewesen war. Ich aß eine halbgare Pastete, trank mich mit fensterbankkühlen Bieren in den Schlaf. Was, fragte ich mich oft, mochte jemand denken, der zufällig sah, wie ich einen mageren, bleichen Arm durch die verwaschenen Vorhänge schob, hoch über dem Fluss, der sich an dieser Stelle im Bogen durch das Tal wand, wie ich mit einer körperlosen Hand nach dem Bier griff, dem letzten, dem allerletzten Bier vor dem Einschlafen?
    Morgens ging ich auf das Dach, lud das billige Gewehr, das ich bei Kmart gekauft hatte, und schoss auf den Müll, der sich unten vor dem Gaswerk sammelte. Manchmal sprang ein von der Kugel geschlagener Funke auf ein Stück Pappe oder alte Kleider über, und der Abfall begann zu brennen. Ich richtete das Gewehr auf vorbeifliegende Vögel, zielte dicht hinter sie, wurde jedoch jedes Mal von einem inneren Beben geschüttelt und versuchte es wieder und wieder, und die leeren Patronenhülsen klimperten rings um meinen Gartenstuhl auf das Teerdach.
    Das war mein Leben, in groben Zügen. Ich glich dem Kurator eines kleinen, in Vergessenheit geratenen Museums. Ich war genügsam. Manchmal legte ich ein kleines Andenken an den Krieg zurück in die Schuhschachtel, holte ein anderes heraus. Eine Geschosshülse, den Fetzen eines Schulterstücks – Zeugnisse eines Lebens, das ich mir ebenso gut hätte ersparen können.
    Die Spürhunde der CID würden mich natürlich irgendwann finden, und ich ahnte, was sie wollten: Irgendjemand musste für das büßen, was mit Murph passiert war. Wie viel Schuld wir daran trugen, war nicht so wichtig, aber ich spürte mit jeder Faser meines Körpers, dass ich eine Mitschuld auf mich geladen hatte. Im Vergleich dazu war es relativ unwichtig, welche Verbrechen wir begangen, gegen welche Vorschriften wir verstoßen hatten. Man würde Anklagepunkte finden, die alle unsere Verstöße unter einen Hut brachten, der Gerechtigkeit würde Genüge getan werden, und dann wäre Murphs Mutter zufrieden, würde endlich aufhören, die Army mit Fragen danach zu belästigen, wie ihr Sohn umgekommen war.
    Und ich? Und der Brief? Ich rechnete mit einer fünfjährigen Haftstrafe. Ich konnte mich nur noch vage an die ausufernden rechtlichen Belehrungen erinnern, die wir uns während der Grundausbildung im Auditorium hatten anhören müssen. Die Ausbilder hatten die Daumenschrauben am Abend zuvor immer fest angezogen. Wir mussten in den Kasernenfluren stundenlang Aufwärmübungen machen, der morgendliche Waldlauf sorgte dafür, dass unsere Beine sich wie aus Gummi anfühlten, und wenn uns der JAG -Offizier anschließend darüber belehrte, wie wir uns laut des Uniform Code of Military Justice zu verhalten hatten, bekam ich so gut wie nichts mit, weil ich jedes Mal hundemüde war und das wunderbare Gefühl hatte, auf meinem Stuhl zu schweben. Sicher, ich bin nicht schuldlos. Ich hätte wissen müssen, was zu tun war. Man könnte mich mit einiger Berechtigung fragen: Sie waren Soldat, verdammt nochmal, und waren nicht mal in der Lage, während eines Vortrags die Ohren offen zu halten? Doch ich

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