Die Sonnenposition (German Edition)
Waldstücken, Wegbiegungen, leeren Asphaltstraßen, Ausschnitte, die nicht malerisch sind, Ausschnitte der Welt, die wirken, als habe jemand versehentlich aus dem Handgelenk abgedrückt, oft verwackelt, oft unscharf, niemals aber mit einem sogenannten Objekt, sofern man gewillt ist, eine zufällig dastehende Notrufsäule, das Fundament eines Hochspannungsmastes oder ein Stück Stacheldrahtzaun mit wehendem Haar aus einer Ponymähne nicht als Objekt zu bezeichnen. In diesem Fall gibt es für mich nur ein Objekt, ein gültiges Objekt, und man darf davon ausgehen, daß sie sich noch nicht dazu haben hinreißen lassen, ihre Erlkönige als Wald, als Notrufsäule zu verkleiden.
Andererseits kann ich mir bei keinem dieser Fotos sicher sein, deshalb werfe ich sie nicht weg. Sie ähneln den Katalogabbildungen, mit denen für moderne Jagdkleidung geworben wird. Suchbilder, die scheinbar nur ein Waldstück oder einen Wegrand zeigen, reine sogenannte Naturidylle auf den ersten und auch noch auf den zweiten und dritten Blick. Erst auf der Abbildung daneben, die dasselbe Motiv zeigt, aber mit farbigen Kreisen markiert ist, erkennt man die Personen, die am Wegrand hocken, im Wald stehen, im Gras liegen, oft erstaunlich viele, es wimmelt von unerkannten Jägern auf diesen Bildern, Jäger, die man nur sieht, wenn man weiß, wo man hinsehen muß. Es ist ein wenig bedrückend und ein wenig bedrohlich, solcherart den eigenen Augen nicht trauen zu können, spricht allerdings für die Qualität der Tarnung. Wild, das in seinem Fluchtverhalten nach Augenschein geht, wird kaum Verdacht schöpfen, wenn nicht andere Faktoren hinzukommen, Gerüche, Geräusche; Faktoren, die das Foto nicht erfaßt. Dermaßen leicht zu täuschen, erwarte ich daher immer noch, erwarte ich grundsätzlich und hoffnungsfroh, auf einer meiner Aufnahmen womöglich doch noch einen Erlkönig zu sichten.
Ich habe unzählige weißlich verschwommene Aufnahmen gemacht, Bilder, auf denen nur Nebel ist. Speziell diese Nebelbilder lasse ich ein zweites Mal abziehen, in größerem Format. Ich tauche ein in das reglose Wabern und warte, ob ich nicht doch plötzlich etwas sehe, einen Kotflügel, einen Scheinwerfer, einen Umriß, ein Detail. Die Nebelbilder vereinen in sich den Zauber aller Möglichkeiten. Und nebenbei bemerkt, wäre Nebel für einen Erlkönig letztlich auch die angemessenste aller Umgebungen.
Ich bremse mitten im Wald und steuere mein getarntes Automobil in einen Forstweg, den Unbefugte nicht befahren dürfen. Das Risiko, hierbei entdeckt zu werden, ist nicht sehr hoch. Der Wagen ist so gut wie unsichtbar. Zudem betrachte ich mich um diese Tageszeit bereits als befugt. Ich parke neben der Fahrspur zwischen zwei Büschen, es regnet leicht. Ich nehme die Regenhaut vom Rücksitz und schließe den Opel ab. Eine Weile stehe ich einfach da, damit sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Ich winde mich in die Regenhaut, sie liegt eng an, ich vermeide es, die Druckknöpfe aufeinanderzupressen, ich setze nur die Kapuze auf.
Vorfrühlingswald. Es riecht nach Bärlauch und nach Wildschweinen. Ich höre die Schweine unter den Eichen wühlen. Ich habe mich noch nicht bewegt, stehe reglos und lausche. Im Wind flattert meine Regenhaut und raschelt unnatürlich. Ich schließe über der Brust einen Druckknopf, mir bricht sofort der Schweiß aus. Pelle des Widerstands, Pelle der Subversion. Im Zweifelsfall würde man mich aus der Ferne für einen Müllsack halten, aufgehängt an einem niedrigen Zweig, etwas Verbotenes enthaltend, ein erlegtes Tier, dessen räudiges Fell aus einer schadhaften Stelle quillt.
Am Horizont bläht sich ein Duschvorhang über den aufgerissenen Flächen der Nacht.
Infrarotaugen, Röntgenaugen, Nachtsichtgeräte. Argusaugen. Sehen den Viertelschlaf der Tiere, die verborgenen Orte, an denen sie ruhen, ihr unvollständiges Einfalten der Außenwelt. Sehen Schwarzweißbilder von Bäumen; Bäume als Wolken. Bäume als böhmische Dörfer. Bäume befangen in einer gespenstischen Verehrung der Gegend, der Sonne auf ihrem tiefsten Stand, die sich dennoch, auch in der Mitte der Nacht, in uns einbrennt. Blaßblau emaillierte Kochtöpfe, die auf einem rotgeblümten Tischtuch dampfen, heiß, ohne Untersetzer, die das Tischtuch kreisrund bügeln an diesen Stellen, es dann braun versengen. Der Impfring am Oberarm meiner Mutter. Das Körpergefühl der Schuld, Kanister mit Öl, Benzin, Sirup, ein inneres Schwappen, dünnflüssig-flüchtig, zähflüssig-klebrig,
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