Die Sonnwendherrin
versucht hast, mit ihr zu reden«, sagte der Wolf.
Iwan hob seinen Arm und betrachtete den blutunterlaufenen Striemen, der sich vom Handgelenk bis zum Ellbogen zog. Der Peitschenhieb hatte sein Gesicht treffen sollen. Er war dort auf dem Schlossplatz so benommen gewesen, dass er beinahe den Schlag nicht hätte kommen sehen. »Gleb hatte recht«, brachte er schließlich heraus. »Und du auch.«
Der Wolf schob sich vor und hielt erst inne, als er den Jungen fast berührte. Seine Schnauze befand sich ganz nah bei Iwans Ohr.
»Weißt du, so ist sie eben«, sagte er. »Sie gestattet sich niemals, für einen Gegenstand oder einen Menschen etwas zu empfinden. Und gerade das macht sie so stark.«
»Schon klar.« Iwan stand langsam auf und schüttelte noch ein paar Pflanzenreste aus dem Wald ab.
Der Wolf beobachtete ihn aufmerksam. »Bereit?«, fragte er nach einer Weile.
»Immer.« Iwans Lächeln wirkte geistesabwesend. Er starrte mit solch leerem Blick in das dunkle Tannengehölz vor ihnen, dass der Wolf zweifelte, ob der Junge überhaupt etwas davon wahrnahm.
Keine gute seelische Verfassung, um auf Leschys tödliches Spiel einzugehen.
»Wirklich?«, fragte der Wolf. »
Ich
kann diese Rätsel nicht für dich lösen, wie du weißt. Und solltest du verlieren
..
.
«
»Werde ich zu einem Kikimora. Ja, ich weiß.«
|33| »Dir ist hoffentlich klar«, fuhr der Wolf fort, »dass die Kikimoras nicht einfach nur Moorgeister sind. Sie erinnern sich nämlich daran, wer sie im wirklichen Leben waren! Sie sind sich in vollem Ausmaß bewusst, was sie verloren haben. Und wenn du dieses hysterische Gelächter hörst, dann heißt das noch lange nicht, dass sie aus Freude lachen!«
Wie zur Antwort ertönte in einiger Distanz ein Heulen, das entfernte Ähnlichkeit mit einem krankhaften Gelächter hatte, aber mehr noch Schmerz und Pein von solcher Intensität enthielt, dass es Iwan kalt über den Rücken lief.
»Ich glaube, ich weiß, was du meinst«, sagte er.
»Gut«, stellte der Wolf fest. »Und du erinnerst dich an alles, was ich dir beigebracht habe?«
»Im Augenblick, ja.« Iwan trat auf das Dickicht zu und hob seine Arme, um sein Gesicht vor den tief herabhängenden Tannenzweigen zu schützen. Der Wolf beobachtete, wie er in die Düsternis des Gehölzes eintauchte und aus seinem Blickfeld verschwand.
»Viel Glück!«, rief er ihm nach.
Lautes Bersten und ein unterdrückter Fluch waren die Antwort. Doch schließlich erklang Iwans Stimme noch einmal aus weiter Entfernung: »Danke!« Der Junge bewegte sich tatsächlich sehr rasch, wenn er es darauf anlegte. Er war gut!
Der Wolf hoffte nur, dass er auch gut genug war.
Das Moor wirkte im Dämmerlicht des weichenden Tages unheimlich. Iwan schritt langsam vorwärts. Jeder Schritt auf dem nassen Gras verursachte ein schmatzendes Geräusch, das in der bleiernen Stille zwischen den knorrigen Bäumen mit ihren langen Bärten aus Flechten so laut hallte wie die Glockenschläge einer Dorfkirche über die offenen Felder. Dessen war er sich schmerzhaft bewusst.
Nicht, dass er jemals auch nur zu hoffen gewagt hätte, den Leschy zu überraschen.
|34| Er erreichte eine kleine grasbestandene Lichtung, wo der Boden etwas fester erschien, eine kleine Insel am Rande der Sümpfe. Dies musste der passende Ort sein.
Iwan ging hinüber zu einem umgestürzten Birkenstamm und setzte sich zwischen die fleischigen Baumpilze, die darauf wuchsen. »Ruf ihn einfach«, hatte der Wolf gesagt. »Leschy liebt dieses Spiel. Er wird kommen.«
Aber wie »rief man einfach« den mächtigen Waldgeist, einen der grausamsten unter den Unsterblichen?
Iwan hob den Kopf und schrie in die ruhige Nachtluft hinaus: »Leschy! Komm heraus, Waldvater! Ich möchte mit dir spielen!«
Das Echo seiner Worte verflog rasch. Alles war wieder totenstill.
Iwan wartete.
Im Schein des aufgehenden Mondes konnte er den fahlen Waldsumpf gut überblicken, doch die Büsche in seiner nächsten Umgebung erkannte er kaum. Er versuchte sich stattdessen auf die Geräusche zu konzentrieren, aber er vernahm lediglich das Surren eines einsamen Moskitos auf seinem entschlossenen Weg zu Iwans Hals. Er verscheuchte das Insekt mit der Hand. Nach einer Weile erklang das Geräusch erneut, diesmal noch aufdringlicher. Er drehte sich um und wollte das lästige Insekt erschlagen.
Dann hörte er jemanden lachen.
Es war nicht mehr als ein Kichern, voll Fröhlichkeit und Schabernack. Beinahe hätte Iwan gelächelt und mit eingestimmt. Doch
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