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Die Sonnwendherrin

Titel: Die Sonnwendherrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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Mann seufzte. »Ich warne dich ein letztes Mal«, sagte er. »Lass es sein! Du kommst von draußen. Du wirst das nie verstehen!«
    Iwan hielt dem Blick stand. »Ich möchte es zumindest versuchen«, sagte er. »Wenn Ihr so gütig wärt, es mir zu erklären, Väterchen?«
    Der Mann sah ihn unverwandt an. Sein Blick war schwer, und er blinzelte nicht. Es war schwierig, seinen Gesichtsausdruck zu deuten.
    »Es sind schon viele Helden in unser Reich gekommen«, sagte der Mann schließlich. »Sie haben niemals Fragen gestellt. Sie wussten genau, was vorging und was zu tun war. Und dennoch haben sie alle versagt. Wieso glaubst du, mein |11| Junge, dass du weiter kommen wirst, indem du Fragen stellst?«
    »Weil ich anders bin als sie!«, sagte Iwan.
    Der Mann nahm einen großen Schluck aus seinem Krug und wischte sich den Schaum mit dem Ärmel ab. »Entweder bist du sehr klug, Junge«, sagte er, »oder sehr dumm.«
    Iwan wartete ab. Diesmal dauerte die Pause recht lang. Und doch wusste er, dass der Mann weitersprechen würde.
    »Pjotr und Wassa haben sechs Töchter«, sagte er endlich. »Es ist eine Ehre, wenn eine von ihnen auserwählt wird. Welche Gelegenheit gäbe es sonst für ein einfaches, junges Mädchen vom Dorf, einmal das Schicksal des ganzen Königreichs auf ihren Schultern zu tragen?«
    »Und wie genau geschieht das?«, fragte Iwan vorsichtig.
    Die blutunterlaufenen Augen des Mannes wirkten nun glasig. Zuerst glaubte Iwan, er sei betrunken. Doch dann bemerkte er in einer Falte des von der Sonne verbrannten Gesichts eine Träne.
    »Unser Königreich ist klein«, stellte der Mann fest. »Innerhalb von sechs Tagen kannst du von einem Ende zum anderen reiten. Und doch hat es im Laufe der Jahre sämtlichen Angriffen von Heeren widerstanden, die von Osten nach Westen alle Lande mit Krieg überzogen.«
    Iwan nickte. In den letzten beiden Königreichen, durch die er gekommen war, hatten sich die Bewohner Fremden gegenüber so misstrauisch verhalten, dass er Schwierigkeiten gehabt hatte, überhaupt Kost und Logis zu erhalten.
    »Und weißt du, warum unser Königreich so unbesiegbar ist?« Der Mann beugte sich vor, und seine glänzenden Augen starrten geradewegs in die Iwans. Sein Atem roch unangenehm, aber Iwan drehte sich nicht weg. Er wartete ab.
    »Liebe!«, sagte der Mann mit heiserer Stimme. Er ließ den Kopf sinken und saß eine Weile lang schwer atmend da, als habe ihn dieses eine Wort all seine Energie gekostet.
    |12| Iwan sah ihn unverwandt an. »Liebe?«
    Der Mann hob den Kopf und blickte Iwan erneut lange in die Augen. »Unser Zar, Kaschtschej. Kaschtschej der Unsterbliche, so lässt er sich gern nennen. Doch die Leute auf dem Dorf bezeichnen ihn manchmal
..
.
«, er beugte sich ganz nah zu Iwan und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    »Untot?«, wiederholte Iwan. Er hatte diese Bezeichnung schon einmal gehört, aber niemand hatte sich je offen dazu geäußert. »Aber warum denn?«
    »Pssst, Junge!«, machte der Mann. »Du willst doch wohl nicht nackt ausgezogen und aus dem Dorf geprügelt werden!« Er sah Iwan von der Seite her an und fügte leise hinzu: »Wir sprechen nicht darüber, weißt du!«
    Iwan nickte. Nichts von alledem ergab einen Sinn. Und doch war es bedrückend, einen so großen Mann, kräftig wie ein wilder Keiler, derart beunruhigt zu erleben.
    »Was geht dich das an, Junge?«, fragte der Mann. »Warum steigerst du dich da so hinein?«
    Iwan seufzte. Es war schwierig, so etwas einem Fremden zu erklären, noch dazu jemandem, der so sehr in eigenen Sorgen befangen war. »Ich habe eine Schuld zu begleichen«, sagte er schließlich. »Einem Freund gegenüber.«
    Der Mann runzelte die Stirn. »Bedeutet dieser Freund dir so viel?«, fragte er. »Genug, um dich mit dem Verdammten abzugeben?«
    Iwan lächelte, sagte aber nichts.
    »Du musst ihm eine Menge schulden«, fuhr der Mann fort.
    »Ich schulde ihm mein Leben«, sagte Iwan.
    »Ein Leben spielt keine große Rolle«, meinte der Mann. »Jedenfalls hier nicht. Lass es einfach sein, Junge!« Damit stützte sich der Mann auf dem Tisch ab und erhob sich schwerfällig. »Ich schätze, du wirst so bald wie möglich weiterreisen wollen«, sagte er. Seine Stimme klang etwas gezwungen. |13| Hinter dem schroffen Verhalten des Mannes konnte Iwan deutlich die Angst spüren. Nach alledem, was er in den vorherigen Dörfern gehört hatte, war das kein Wunder. So nickte er lediglich und folgte dem Mann zur Eingangstür.
    »Denk nur daran«, warnte dieser Iwan. »Die

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