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Die Sonnwendherrin

Titel: Die Sonnwendherrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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aussehen. Am besten sogar wie ein Mädchen vom Dorf, das abenteuerlustig genug war, ihren Eltern wegzulaufen und zum ersten Mal eine Sonnwendfeier zu erleben. Solche Mädchen glauben für gewöhnlich, dass die Sonnwende alle Regeln aufhebe. Fahrende Ritter machen es sich häufig zur Aufgabe, sie zu beschützen, aber trotzdem sind sie eine leichte Beute für liebeshungrige Männer.
    Nach kurzem Zögern entschloss ich mich, mein schwarzes Haar zu einem rötlichen Braun zu ändern, es ein wenig zu kürzen – etwa auf Hüftlänge – und lockig zu machen. So sah ich zwar süß aus, aber durchaus erwachsen genug für eine |41| kurze Affäre. Meine Augen beließ ich grün, mit einem Hauch von Braun in den Winkeln. Die Wimpern wurden kürzer und heller. Ich wollte abenteuerlustig und gleichzeitig unerfahren wirken. Große, starke Männer fliegen darauf.
    Mein langes schwarzes Gewand ersetzte ich durch ein gewöhnliches bäuerliches Kleid mit einem Ausschnitt, der gerade tief genug war, um den Ansatz meiner Brüste zu zeigen. Es sollte provozieren, aber nichts ernsthaft enthüllen. Nachdem ich mich noch einmal prüfend im Spiegel gemustert hatte, fügte ich den Wangen noch ein wenig Farbe und Fülle hinzu und entschied, dass es genug sei.
    In einen dunklen Umhang gehüllt, trat ich aus dem Schloss. Die Wächter beim Tor zum vorderen Innenhof dösten. Ich schickte ihnen einen beruhigenden Gedanken hinüber und ließ sie zur Seite blicken, als ich an ihnen vorüberschlüpfte. Meine Schritte auf den kalten Pflastersteinen waren lautlos. Diese Nacht gehörte mir. Es gab keinen Grund, dass irgendjemand anderes davon wissen sollte.
    Ich war mir sicher, in der Taverne am Schlossplatz geeignete Männer auftreiben zu können. Also ging ich dorthin. Zu dieser Stunde war der Schankraum gut gefüllt. Der Raum erschien mir in der trüben Beleuchtung riesengroß. Die Ecken verschmolzen mit den Schatten, doch die Mitte wurde von einer Reihe Lampen über der Theke wie eine Bühne beleuchtet. Dichter Bierdunst, Geruch nach menschlichem Schweiß und billigem Eintopf hing schwer in der Luft. Bruchstücke von Gesprächen drangen gelegentlich durch den Hintergrundlärm, und von Zeit zu Zeit erschütterten laute Streitigkeiten oder Ausbrüche von Gelächter diese dichten Schwaden. Gerüche und Lärm schlugen über jedem Neuankömmling zusammen und hüllten ihn ein wie in einen Kokon. Ich blieb am Eingang stehen und bemühte mich erst einmal, mit meinen überlasteten Sinnen die Lage einzuschätzen.
    |42| Es war die Zeit am Abend, zu der das Bier den Männern in den Kopf steigt und sich die Grenzen des Annehmbaren bis zur völligen Aufhebung verschieben. Die wenigen im Raum anwesenden Frauen hatten, was ihre Haltung betraf, bereits alle Hemmungen aufgegeben und klebten wie nasse Tücher an ihren Zufallsbekanntschaften. Eine große Gruppe grölender Kerle in der Nähe der Theke warf einer hässlichen Kellnerin Schimpfworte an den Kopf und lachte so laut, dass ihr Bier in den Krügen überschwappte. Wie alle anderen im Schankraum wandten sie sich zur Tür, um mich, den Neuankömmling in ihrer Mitte, zu begutachten. Ihre Blicke glitten wie fette, ölige Finger über meinen Körper, so weit es meine Kleidung zuließ, und ließen mich schaudern.
    Langsam trat ich ein und sah mich unter dem Schlimmsten um, das unser Königreich in Bezug auf Männer zu bieten hatte. Ich benötigte ja nur einen einzigen guten Liebhaber. Es musste zumindest einen geben, den ich brauchen konnte. Ich zwang mich dazu, langsam und gründlich vorzugehen, mich von niemandem sogleich abzuwenden, obwohl die unverhohlene Begierde in ihren Blicken mir die Farbe in die Wangen trieb.
    Eine Gruppe in einem Eck wirkte ein wenig besser als die anderen. Ihre Kleidung – eine Stufe über der einfachen Bauernkluft – wies sogar eine gewisse Ahnung von Sauberkeit auf. Einer ganz zur Rechten sah weniger betrunken aus als die Übrigen, und als mein Blick den seinen fand, entdeckte ich eine Bewunderung in seinen grauen Augen, die über die übliche Wollust ein wenig hinausging. Dennoch entsprach er noch nicht dem, was ich mir erhofft hatte. Auf jeden Fall war er nicht der Verführer, den ich benötigte.
    Ich warf einen letzten hoffnungslosen Blick durch den Raum. Und dann sah ich ihn. In den späten Zwanzigern, dunkel, schlank, muskulös und durchaus gutaussehend. Ganz eindeutig ein Frauenheld. Er lehnte sich aus der dunklen |43| Ecke heraus und beobachtete mich interessiert. Als mein Blick

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