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Die Sonnwendherrin

Titel: Die Sonnwendherrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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Herrin wird morgen hierherkommen, um das Mädchen abzuholen. Es ist ein uraltes Ritual. Wir wollen nicht, dass irgendwelche Weltverbesserer sich da einmischen. Sollten wir feststellen, dass du und dein Tier immer noch hier herumlungern
..
.
«
    »Keine Sorge«, versicherte Iwan ihm. Seine Stimme klang betont unbeteiligt, aber der Mann schien nichts zu bemerken.
    »Mach uns keine Schwierigkeiten«, fuhr er fort. »Pjotrs Familie macht schon genug durch. Ich hoffe nur – wir alle hoffen es   –, dass seine Tochter den Anforderungen genügt.« Sein Blick wanderte hinüber zu dem Vorhang oben auf dem Kachelofen, wo, wie Iwan wusste, die kleine Tochter des Mannes schlief. Seine Miene sprach Bände.
Ich hoffe, es trifft Pjotrs Tochter und nicht meine
, sagte sie.
Nicht dieses Jahr. Niemals.
    »Klar.« Iwan hängte sich sein Bündel über die Schulter.
    Der Mann stand einen Augenblick reglos da. Er schien angestrengt zu überlegen. »Vielleicht möchtest du mit Gleb sprechen«, sagte er bedächtig. »Dem Kräuterkundigen in Sabolotnoje.«
    Iwan wandte sich ihm zu und gab sich Mühe, keinerlei Gefühle zu zeigen. Dies war beinahe zu viel, mehr, als er sich erhofft hatte. »Das Dorf hinter dem Moor?« Es fiel ihm schwer, die Erregung in seiner Stimme zu beherrschen. Aber der Mann war zu sehr in Gedanken versunken, um darauf zu achten.
    »Da gibt es kein Moor. Das ist schon vor hundert Jahren ausgetrocknet, hat mir meine Großmutter erzählt. Nur der Name ist geblieben.«
    |14| »Wie komme ich dorthin?«
    »Folge dem Weg nach Osten. Es ist eine weite Strecke – beinahe zwanzig Werst. Aber wenn du Glück hast und Leschy, dem Waldgeist, aus dem Weg gehst, kannst du bis heute Abend dort sein.«
     
    Der Wolf erwartete ihn außerhalb des Zaunes, der sich um das Dorf zog. An seiner Schnauze klebte frisches Blut. »Du hast aber ziemlich lange gebraucht, Junge«, grollte er, als Iwan mit beschwingten Schritten auf ihn zukam. »Und außerdem wirkst du viel zu selbstzufrieden!«
    »Er hat mir verraten, wo ich Gleb finde!«, rief Iwan.
    Der Wolf rieb sich mit einer Pfote die Nase, so dass sich der Blutfleck im fleckigen Grau seines Fells verteilte. Es war schwer, sich vorzustellen, dass er wie ein Mensch zu sprechen vermochte. Und noch schwerer war es, sich vorzustellen, dass dieses riesengroße graue Tier schon lange gelebt hatte, bevor das Königreich, aus dem Iwan stammte, überhaupt gegründet worden war! Und doch hatte sich Iwan im vergangenen Jahr an beide Tatsachen gewöhnt.
    »Und?«, forderte der Wolf ihn auf.
    »Und was?«
    »Bist du sicher, dass es derselbe Gleb ist?«
    Iwan war bestürzt. Er war so froh gewesen, diesen Namen aus dem Mund des Mannes im Dorf zu vernehmen, dass er überhaupt nicht daran gedacht hatte, es könnte sich vielleicht um jemand anderen mit demselben Namen handeln.
    »Er sagte: ›Gleb, der Kräuterkundige‹«, berichtete Iwan. »Ich fand es einleuchtend. Nun, es gibt nur einen Weg, das herauszufinden. Er wohnt nicht mehr als zwanzig Werst von hier entfernt, in einem Dorf namens Sabolotnoje.«
    Der Wolf nickte. »Wenn wir davon ausgehen, dass Gleb sich entschloss, zurück ins Königreich des Verdammten zu ziehen, sähe es ihm ähnlich, irgendein gottverlassenes Nest |15| als Wohnort zu wählen. Wie seid ihr auf Glebs Namen gekommen? Du hast doch wohl hoffentlich nicht nach ihm gefragt, oder?«
    Iwan schüttelte den Kopf. »Du hattest mich doch davor gewarnt. Und ich glaube auch nicht, dass sie Bescheid wissen. Der Mann hat es mir von ganz allein erzählt.«
    Der Wolf blickte ihn unverwandt an. »Hat es dir von ganz allein erzählt, ja?«, knurrte er. »Diese Leute erzählen nichts ›von ganz allein‹!«
    »Vielleicht«, warf Iwan ein, »tun sie das, wenn du ihnen die Gelegenheit dazu gibst.«
    Der Wolf stand gemächlich auf. »Und vielleicht«, stellte er fest, »tust du gut daran, deine schlauen Füße in Bewegung zu setzen! Zwanzig Werst sind eine lange Strecke!«
     
    Der Mann, der ihnen die Tür öffnete, hatte dünnes weißes Haar, das ihm bis auf die Schultern hinabhing, und einen langen, glatten Bart. Er musterte die Besucher gelassen, wie ein Mann, der an vieles gewöhnt ist. »Komm herein«, sagte er und blickte an Iwan vorbei.
    Erschrocken wurde Iwan bewusst, dass er den Wolf angesprochen hatte.
    Das graue Tier schob sich lautlos an Iwan vorbei und trottete zu einem kleinen Teppich, der vor dem Ofen ausgebreitet lag. Einen Augenblick später folgte ihm Iwan.
    Das Zimmer war düster und

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