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Die Sonnwendherrin

Titel: Die Sonnwendherrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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gehst
..
.
«, begann ich erneut. Aber er hörte mich immer noch nicht. Er sah mich einfach nur an.
    »Ich bin der glücklichste Mann auf der Welt, dass ich Euch von so Nahem sehen darf«, sagte er. »Ihr seid unglaublich schön!«
    Ich zuckte die Achseln und bemühte mich, das warme Gefühl, das dieses schlichte Geständnis in mir auslöste, zu ignorieren. Ich hatte diese Worte schon oftmals gehört. Aber bei keinem anderen Mann hatten sie jemals so aufrichtig geklungen.
    »Selbstverständlich bin ich das«, sagte ich. »Weißt du nicht, dass ich die schönste Frau der Welt bin?«
    »Das seid Ihr allerdings«, rief er. »Und dennoch wird Eurer Schönheit keine Legende der Welt gerecht!«
    Und damit ergriff er meine Hand.
    Es war, als erfasste mich Feuer. Meine Hand schmolz in seiner wie Butter auf ofenwarmem Brot, wie ein Eiskristall im Sonnenschein. Die Wärme seiner Haut, der sanfte Druck seiner Finger auf meinen, das alles ließ meinen Körper derart erschauern, dass es bis tief in meine Seele drang.
    Ich hatte die Berührungen vieler Männer erlebt. Es war mir ganz gleich, wie vieler. Doch nun erschien es mir wie das erste Mal.
    |95| Ich fühlte mich hilflos, verwundbar. Als sei ich noch ein kleines Mädchen und er nicht der Junge, der er war, sondern ein Mann und unendlich viel erfahrener als ich. Ich stand ungeschützt vor ihm, fühlte mich nackt unter seinem sanften Blick, spürte mit jeder Faser meines Körpers auch die leiseste Bewegung der kühlen Nachtluft. Meine Fußsohlen wurden mit einem Mal von den glatten Steinfliesen des Fußbodens verbrannt. Ich stand gleichsam durchscheinend vor der Wärme seines Blickes, vor dem Sonnenschein seines Lächelns.
    Vor seiner Berührung.
    Ich fühlte mich hilflos. Und zornig. Ich schob die Hilflosigkeit von mir und ließ dem Zorn freien Lauf. Ich entzog ihm meine Hand und spürte, wie prickelnde Energie bis in meine Fingerspitzen floss, bereit, freigesetzt zu werden.
    »Da du offensichtlich nicht verstehst, was ich sage, Iwan der Narr«, sagte ich, »habe ich keine Wahl. Ich muss dich vernichten.«
    Flammen knisterten in meinen Händen. Ich erhob sie vor mein Gesicht, zum Feuerschlag bereit.
    Er rührte sich nicht, rannte nicht weg. Er stand lediglich da.
    »Leb wohl, Narr!«, sagte ich.
    Ich bemerkte eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Das Feuer züngelte von meinen Fingerspitzen, doch ich hielt es zurück und senkte die Hände, um den Neuankömmling sehen zu können. Mein Gegner trat zurück, den Körper auf die gleiche graziöse Art angespannt wie ein Wolf vor dem Sprung.
    Eine eigenartige Mischung aus Erleichterung und Bedauern überkam mich, als ich sah, wie die hochgewachsene, stattliche Gestalt in Schwarz den Raum mit wenigen sicheren Schritten durchmaß. Die Augen glühten wie Kohlen in seinem blassen Gesicht, das von langem, dunklem Haar eingerahmt wurde.
    |96| Mein Vater, Kaschtschej der Unsterbliche.
    Durch das Band unserer Gefühle musste er meine Not gespürt haben.
    »Tritt zurück, Marja!«, sagte mein Vater ruhig.
    Ich trat zu ihm und stellte mich an seine Seite.
    »Er scheint begriffsstutzig zu sein, Vater«, erklärte ich. »Und er bezeichnet sich als Narr.«
    »Er
ist
ein Narr«, stimmte mein Vater zu. »Nur Narren lassen sich in eine Prophezeiung verwickeln, die sie selbst nicht verstehen. Sag mir, wer zieht deine Fäden, Marionettenjunge?«
    Ich wollte eine Frage stellen, doch ich kam nicht dazu. Die Dinge überschlugen sich zu sehr.
    Iwan der Narr huschte zur Seite, dorthin, wo mein Nähkästchen auf dem Regal stand, und darin befand sich –
    Die Nadel. Meines Vaters Tod.
    Wie im Traum sah ich den schmalen, langen Silberschimmer in der Hand des Jungen.
    »Bleibt, wo Ihr seid, Kaschtschej!«, rief er. Seine Worte hallten wie Glockenklang durch den totenstillen Raum.
    Mein Vater wandte sich langsam zu mir um, sein Gesicht bleich wie das Licht des Mondes. »Du hast es ihm gesagt, Marja!«, sagte mein Vater. »Du, meine einzige Tochter, hast mich verraten!«
    Es war so ungerecht, dass mir fast die Stimme versagte. »Ich habe ihm nichts gesagt, Vater!«
    Es spielte jetzt wohl auch keine Rolle mehr. Ich hatte meine Chance verpasst, den Jungen zu töten, und nun geriet die Lage außer Kontrolle. Meinetwegen. Weil ich so langsam gewesen war.
    Weil ich, Marja, die Sonnwendherrin, gezögert hatte, mein tödliches Feuer zu entfesseln.
    »Ich könnte Euch auf der Stelle töten, Kaschtschej«, fuhr Iwan fort. Seine Stimme klang ruhig, beinahe

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