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Die Sonnwendherrin

Titel: Die Sonnwendherrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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doch sein Wasser war für jene tödlich, so dass kein Unsterblicher einen Grund hatte, den Quell zu suchen. Ich gab diesem Narren aus dem Zwölften Königreich nicht die Spur einer Chance!
    Sogar mein Vater schien der gleichen Ansicht zu sein.
    »Sehr gut, Marja«, stimmte er zu. Und als er sich Iwan zuwandte, sagte er: »Ich will mich dem Wunsche meiner Tochter fügen. Gebt mir die Nadel und geht.«
    Doch Iwan steckte die Nadel bereits in einen Beutel, der an seinem Gürtel hing. Seine Kornblumenaugen funkelten vergnügt. »Ihr habt mein Wort, Kaschtschej«, sagte er. »Und ich muss mich absichern. Lebt wohl, Zarewna Marja Kaschtschejewna. Wir sehen uns in zwölf Tagen wieder.« Er lächelte mich ein letztes Mal an, setzte über den Fenstersims und war verschwunden.
    Ich wandte mich an meinen Vater. Ich wollte ihm nahe sein, seinen Blick spüren, seine Hand berühren. Doch er mied meinen Blick und entzog mir seine Hand.
    |100| »Ich habe ihm wirklich nichts davon erzählt, Vater!«, beteuerte ich. »Bitte, glaube mir doch!«
    Er reagierte nicht.
    »Ich hole die Nadel zurück«, sagte ich und fühlte mich dabei aus irgendeinem Grund schuldig. »Versprochen!«
    Doch mein Vater sah mich nicht einmal an. Er wandte sich ab und schritt aus meinem Gemach.

|101| Iwan
    »
Was
hast du getan?« Die Augen des Wolfs glühten wie zwei heiße Kohlen.
    »Ich habe sie um ihre Hand gebeten.«
    Der Wolf ließ sich auf dem Boden nieder und kratzte sich wie ein Hund hinter dem Ohr. Iwan wich durch die Luft fliegenden Fellfetzchen aus. Der Wolf würde sich schon beruhigen. Irgendwann.
    »Willst du damit sagen, du konntest die Nadel nicht rechtzeitig finden? War sie nicht im Nähkästchen?«
    »Sie war darin. Ich habe sie sofort gefunden.« Iwan senkte den Kopf und erwartete ein Donnerwetter. Doch nichts geschah. Nach einer Weile wagte er einen schüchternen Blick. Die Augen des Wolfs waren den seinen so nahe, dass er vor Schreck beinahe einen Satz rückwärts gemacht hätte. Das alte Tier konnte einem viel mehr Angst einjagen als Kaschtschej und Leschy zusammen.
    »Und was geschah dann?«, knurrte der Wolf. »Du musstest dir lediglich die Nadel krallen und wegrennen! War das so schwer?«
    »Ich habe die Nadel ja!«, beteuerte Iwan. »Hier.« Er wühlte in dem Beutel an seinem Gürtel herum. Seine Hände zitterten. So hatte er den Wolf noch nie erlebt.
    »Behalte sie!«, sagte der Wolf. »Sie kann erst benutzt werden, wenn du deine Aufgabe erfüllt hast.«
    Er erhob sich, wandte sich um und trottete den Waldweg entlang von dannen.
    »Warte!«, rief Iwan ihm nach. Da er keine Antwort bekam, |102| folgte er dem in einer Kurve des Waldwegs verschwindenden grauen Schwanz. Zuerst ging er ganz normal, dann aber fing er an zu rennen. »Bitte, geh nicht weg!«
    »Du hast eine Aufgabe zu erfüllen«, sagte der Wolf, ohne sich umzudrehen. »Also, mach dich daran. Falls du überlebst, hast du auch noch eine wunderschöne Braut. Tödlich allerdings. Aber doch sehr schön. Auch äußerst geschickt im Bett, wie ich gehört habe. Vielleicht kann sie dir so einiges in Sachen Liebe beibringen.«
    »Willst du nicht wissen, was für eine Aufgabe sie mir gestellt hat?«, schnaufte Iwan. Er rannte neben dem Wolf her, aber dabei auch noch zu sprechen, war sehr schwierig.
    »Warum?«, fragte der Wolf. »Ich bin nicht derjenige, der sich in einen solchen Schlamassel gestürzt hat! Und was immer sie dir aufgetragen hat – du bist geliefert, Junge! Ich suche mir am besten einen neuen Helden. Diesmal aber einen richtigen.« Die letzten Worte knurrte er wütend, bevor er sein Tempo beschleunigte.
    Iwan mühte sich ab, um Schritt zu halten. »Es sind noch zwölf Tage bis zur Sonnwende«, keuchte er. »Wir können es noch schaffen!«
    »Ich meinte damit, vergiss es, Junge!«, grollte der Wolf. Aber wenigstens verlangsamte er seinen Schritt ein wenig.
    »Es tut mir leid«, beteuerte Iwan, nach Luft schnappend. »Wirklich! Ich weiß, ich habe dort oben gezögert
..
.
«
    »Weißt du, was es braucht, um eine Prophezeiung zu erfüllen?«, fragte der Wolf. »Es gibt Momente, da darf man nicht zögern!«
    »Hör mal«, bat ihn Iwan, »können wir nicht etwas langsamer gehen, während wir das besprechen? Ich kann bald nicht mehr!«
    »Du hältst nie richtig mit«, maulte der Wolf. Doch nach ein paar weiteren Schritten blieb er schließlich stehen. Er |103| wandte sich zu Iwan um. »Also gut, Junge«, seufzte er. »Ich werde dir zuhören. Aber fasse dich kurz! Wir haben

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