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Die Sonnwendherrin

Titel: Die Sonnwendherrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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hast du sprachlos gemacht, weil er dich verletzte, so wie Ilja, den du ins Leben zurückriefst, nur, damit er dich verlassen konnte und seiner eigenen Wege ziehen.
    Er hob den Kopf und hielt dem Blick ihrer gelben Augen stand. »Was hat dir Ilja bedeutet?«, fragte er. »Was hat er getan, dass du bis ans Ende der Welt gezogen bist und alles riskiert hast, um das Wasser des Lebens zu bekommen?«
    Sie starrte ihn an, ohne mit der Wimper zu zucken. In der plötzlichen Stille vernahm man deutlich das prasselnde Feuer und das Quieken der eigenartigen Kreaturen, die sich in den Ecken des Hauses mit den Hühnerbeinen verbargen, das ein Eigenleben zu führen schien.
    |182| »Er war vielleicht noch jünger als du«, sagte sie schließlich, »und er hatte dieses Feuer im Blick, als wüsste er etwas, was du nicht weißt, als wollte er alles auf der Welt in Ordnung bringen
...
Ein vielversprechender Bursche, dachte ich. Als ich ihn dann leblos daliegen sah, den hübschen Kopf vom Körper getrennt, erschien mir das eine derart unsinnige Vergeudung. Ich
..
.
«
    Sie schwieg erneut. So saßen sie eine Weile still da, um sich herum lediglich die leisen Geräusche, die das lebendige Haus verursachte.
    »Die Maid, die sie dieses Jahr opfern werden«, sagte Iwan endlich, »heißt Aljona. Sie ist die jüngste Tochter einer Familie mit sechs Kindern. Sie hat vier ältere Schwestern und einen jüngeren Bruder. Wenn sie stirbt, wird ihre Seele mit der Kaschtschejs verschmelzen, um ihn ein weiteres Jahr lang jung zu halten. Er wird sie in sich aufnehmen wie so viele andere zuvor. Jedes Mal, wenn das geschieht, wächst seine Macht, und er kann noch mehr Länder beherrschen und weitere Truppen aufbieten, um andere Reiche zu überfallen. Bald wird sich seine Macht so weit verbreitet haben, dass niemand auf der Welt ihm mehr widerstehen kann.«
    »Und du willst all das verhindern?« In Baba Jagas Blick lag leichter Spott.
    »Ich muss es versuchen!«, erwiderte Iwan. »Jedes Jahr wird er mächtiger als im Jahr zuvor. Nächstes Jahr ist es vielleicht zu spät!«
    »Das sind noble Absichten«, stellte Baba Jaga fest. »Doch ich lebe schon zu lange auf dieser Welt, um noch an noble Absichten zu glauben. Du bist Ilja sehr ähnlich, aber er war ein Narr, was du – wie ich mittlerweile weiß – nicht bist! Was treibt dich eigentlich zu alledem, Junge?«
    Er blickte ihr in die Augen. Es gab keinen Grund, es zu leugnen, sagte er sich. Absolut keinen Grund.
    »Letztes Jahr«, erklärte er, »ist ein Kurier von Kaschtschej |183| an unseren Hof gekommen. Wir sollen uns ihm unterwerfen und ihm Tribut zahlen. Wenn wir uns weigern, wird er unsere Ernte vernichten und unser Land verwüsten.«
    Sie lachte. »Erzähl mir nicht, dass dir das etwas bedeutet, Junge!«, sagte sie. »Ich kann Schicksale sehr gut beurteilen. Ich weiß, dass dein Königreich dich ausgestoßen hat. Deine Brüder haben dir Mörder hinterhergesandt, und beinahe hätten sie Erfolg gehabt. Du schuldest ihnen nichts!«
    »Ihnen nicht«, bestätigte Iwan. »Ich schulde es meinem Volk! Ganz gleich, was mein Vater von mir hält, so bin ich doch der Sohn eines Zaren und verantwortlich für das Wohlergehen meines Reiches.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Noble Absichten«, wiederholte sie. »Aber alles leere Worte. Niemand stellt andere über sich selbst. Niemand. Solltest du das glauben, betrügst du dich nur selbst. Sag mir nicht, dass ich unrecht hatte und du eben doch bloß ein Narr bist!«
    Er lächelte. »Du hattest recht«, sagte er. »Ich bin kein Narr. Ich denke dabei auch nur an mich. Auf all meinen Wegen hält mich nur der Gedanke am Leben, dass meine Heimat hinter mir liegt, genau, wie ich sie verlassen habe. Ich könnte es nicht ertragen, sie zu verlieren. Und muss ich denn mein Leben riskieren, um mir das zu erhalten, dann will ich das gerne tun. Wenn meine Heimat verwüstet wird, bleibt mir auf dieser Welt gar nichts mehr!«
    Sie sah ihn lange Zeit an. Das Flackern des Feuers spiegelte sich tanzend in ihren Augen. »Du bist ja noch verrückter, als Ilja es war«, sagte sie nachdenklich. »Ich habe dem alten Narren Kaschtschej schon immer gesagt, dass seine Gier nach Macht ihm eines Tages noch den Untergang bringen wird. Sicher, gewöhnliche Menschen wird er stets problemlos beherrschen können. Aber früher oder später wird einer von euch Verrückten seinen Weg kreuzen und ihm keinen Ausweg lassen.«
    |184| Plötzlich rührte sich der Wolf in seiner Ecke. Der Feuerschein ließ

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