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Die Sonnwendherrin

Titel: Die Sonnwendherrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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nichts anging?«, fragte er, und seine Stimme vibrierte vor Macht.
    »Nein«, antwortete Nikifor. »Ich habe dem Jungen nichts gesagt.«
    »Warum wehrt er sich dann so gegen mich?«
    »Das stimmt doch gar nicht«, sagte Iwan. »Ich bin nur der Meinung, ein Recht darauf zu haben, bei einer Unterhaltung zugegen zu sein, in der es um mich geht.«
    |173| Der Wolf schob seine Schnauze ganz nahe an Iwans Gesicht heran und fixierte ihn mit einem Blick, der mich mit Mühe ein Keuchen unterdrücken ließ. Die Macht dieses Ursprünglichen war enorm! War der Junge immun dagegen?
    »Es geht nur dann um dich, wenn ich das sage!«, bemerkte der Wolf. »Niemand hat dir zu sprechen gestattet,
Fleischeinlage

    Das letzte Wort knurrte er durch gefletschte Zähne hindurch. Das saß. Ich sah, wie Iwan die Fäuste ballte und seine Knöchel weiß anliefen. Und dennoch klang seine Stimme ruhig.
    »Du hast mein Pferd gefressen«, sagte er. »Hättest du das nicht getan, wäre ich jetzt nicht hier.«
    »Vielleicht«, sagte der Wolf. »Ich bezweifle allerdings, dass dein Pferd dich vor den Mördern gerettet hätte, die dein Bruder hinter dir herhetzte. Es waren fünf, und ihre Pferde waren um Klassen besser als deines, Junge!«
    »Möglich«, erwiderte Iwan. »Doch das gibt noch keinem von euch das Recht, über mein Leben zu bestimmen!«
    Der Wolf musterte ihn einen Augenblick und rückte dann näher an das Feuer heran. »Warst du je Teil einer Prophezeiung, Junge?«, fragte er.
    »Weissagungen taugen nichts«, wandte Iwan ein. »Das weiß doch jeder.«
    Wieder entstand eine Gesprächspause.
    »Sie taugen schon etwas«, sagte der Wolf schließlich. »Jedenfalls, wenn man dafür sorgt. Wie es aussieht, gibt es da eine, die ich unbedingt erfüllt sehen will. Es geht dabei um einen gewissen Kaschtschej aus dem Neununddreißigsten Königreich.«
    Ich sah, wie sich Iwan unruhig bewegte.
    »Das interessiert dich, hab ich recht?«, fuhr der Wolf fort. »Kaschtschejs jüngste Forderungen an dein Königreich machen |174| es ohnehin zu deiner Angelegenheit, ob es dir gefällt oder nicht.«
    »Du meinst, an das Königreich meines Bruders«, wandte Iwan ein.
    »Dein Heimatland. Dein Volk. Viele Königreiche zahlen mittlerweile diesem Ungeheuer Tribut, das sich als ›unsterblich‹ bezeichnet. Weißt du, was er mit jenen macht, die nicht mehr zahlen können? Oder vielleicht möchtest du sogar, dass dein Königreich an ihn fällt wie schon so viele andere?«
    »Was gehen dich die Angelegenheiten meines Königreichs an, Wolf?«, fragte Iwan.
    Der Wolf und Nikifor tauschten einen langen Blick. Mir schien es, als setzten sie ihre stumme Unterhaltung von vorher fort. Offenbar, ohne Iwan einzubeziehen, sonst hätten wir es im Spiegel gesehen.
    »Wir vertreten alle unsere eigenen Interessen«, sagte der Wolf. »Auch Nikifor. Und solltest du der Meinung sein, dass du mir nichts schuldest, Junge, so schuldest du doch Nikifor eine Menge, weil er dich von den Toten zurückgeholt hat.«
    Iwan wandte sich dem alten Mann zu. »Das erkenne ich an«, sagte er. »Eine Schuld, die ich schwerlich je begleichen kann.«
    Der alte Mann rührte sich. »Ich verlange nichts von dir, Junge«, sagte er. »Ich bin Heiler. Ich hätte in jedem Fall alles für dich getan, was in meiner Macht stand, ohne an Belohnung zu denken. Es ist nur
...
bei dir stimmt einfach alles!«
    Iwan schwieg zuerst, doch dann bemerkte er: »Ich muss wissen, welche Interessen du in diesem Falle vertrittst, Väterchen. Was kümmert es dich, ob sich eine Prophezeiung erfüllt?«
    Nikifor richtete sich steif auf, das Gesicht einer Maske |175| gleich. »Ich habe einst in Kaschtschejs Reich gelebt«, sagte er beherrscht und blickte dabei ins Feuer. »Vor langer Zeit. Und ich hatte eine Tochter. Swetlana.«
    Er unterbrach sich und ballte die Fäuste. Ich hegte eine Befürchtung, wohin dieses Gespräch führen würde. Swetlana. Das musste vor meiner Zeit gewesen sein.
    »Sie war zwölf, als unser Dorf erwählt wurde, ein Mädchen als Opfermaid für die Sonnwende zu stellen. Die auserwählte Maid   – Fiokla – war die Tochter des Dorfältesten. Am Morgen, als die Herrin kam, sie zu holen, konnte man Fiokla nicht finden. Und dann erschien ihr Vater schließlich und zerrte sie am Arm hinter sich her.«
    Wieder schwieg der alte Mann eine Weile und ballte seine langen, blassen Finger zu Fäusten, entspannte sie und ballte sie erneut.
    »Fioklas Vater war vor Verlegenheit rot. Genau wie die Maid selbst. Wie sich

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