Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
Vom Netzwerk:
überleben, sondern gar die Welt dominieren sollten. Zunächst konnten diese Vorfahren der modernen Menschheit sich einer echten Zukunft ebenso wenig sicher sein wie zuvor ihre nahen Verwandten. Zwei Millionen Jahre vor heute hatte die bisher erfolgreiche Abstammungslinie der Australopithecina soeben den Übergang zum Homo erectus mit noch größerem Gehirn angetreten. Zwar blieb es weiterhin kleiner als beim heutigen Homo sapiens , aber er konnte bereits grobe Steinwerkzeuge herstellen und an seinen Lagerstätten kontrolliert das Feuer einsetzen. Die Populationen verließen Afrika, überzogen das Land Richtung Nordostasien und drangen dann südlich weiter vor bis nach Indonesien. Der Homo erectus war anpassungsfähiger als jeder Primat vor ihm. Einige seiner Populationen überlebten in den kalten Wintern des heutigen nördlichen Chinas, andere im tropisch-schwülen Klima auf Java. In seinem großen Siedlungsgebiet haben Archäologen Fragmente aller Skelettteile des Homo erectus ausgegraben und wiederholt zusammengefügt. Und in zwei Sedimentschichten nahe des nordkenianischen Lake Turkana fand sich etwas genauso Wertvolles wie Schädel und Schenkelknochen: fossile Fußabdrücke. Die Abdrücke haben sich sehr wenig verändert, seit ein herumstreifender Homo erectus sie vor 1,5 Millionen Jahren in den Schlamm drückte, der ihm zwischen die Zehen quoll.[ 40 ]
    Der Homo erectus hatte eine Kultur, die gegenüber der seiner Affen-Vorfahren weit fortgeschritten war, und konnte sich besser an neue, schwierige Umweltbedingungen anpassen. Er weitete sein Siedlungsgebiet aus und wurde der erste weltoffene, kosmopolitische Primat. Die einzigen Gebiete, die er nicht erreichte, waren die Inselkontinente Australien und Amerika sowie die abgelegenen Inselgruppen des Pazifiks. Eine seiner genetischen Abstammungslinien erlangte potenzielle Unsterblichkeit, indem sie sich zum Homo sapiens weiterentwickelte. Der alte Homo erectus lebt noch heute. Und zwar in uns.[ 41 ]
    An den abgelegenen Außengrenzen seines Siedlungsgebiets brachte der Homo erectus weniger erfolgreiche Nachkommen hervor. Es handelt sich um den kleinwüchsigen Homo floresiensis , eine Art von Hominini mit kleinem Gehirn, die auf Flores, einer mittelgroßen der Kleinen Sundainseln östlich von Java, lebten. Wir besitzen Fossilien und Werkzeugfunde, die zwischen 94.000 und lediglich 13.000 Jahre alt sind. Bei einem Meter Körpergröße hatte der Flores-Mensch, scherzhaft auch als Hobbit bezeichnet, ein Gehirn, das nicht größer war als das der afrikanischen Australopithecina; bis heute wird über seine genaue Einordnung gerätselt. Wahrscheinlich ist er eine extreme Variante des Homo erectus , die sich in Isolierung von dessen indonesischer Hauptpopulation abtrennte. Seine kleine Körpergröße passt zu einer nicht ganz so exakten Regel von Insel-Biogeografien: Danach entwickeln sich auf Inseln isolierte Tierarten von weniger als zwanzig Kilogramm zu relativen Riesen (zum Beispiel die Riesenschildkröten auf Galapagos), während Tierarten von über zwanzig Kilogramm relativ zwergwüchsig bleiben (etwa der Zwerghirsch auf den Florida Keys). Erweist sich der momentan anerkannte Status als eigene Hominini-Art als richtig, so lernen wir vom Homo floresiensis sehr viel über die Launen des Evolutionslabyrinths, denen der Homo erectus unterworfen war, bis er unsere Art ergab. Das relativ kurz zurückliegende Aussterben des Flores-Menschen nach einer langen Lebenszeit eröffnet die Möglichkeit, dass er, wie unsere Schwesternart Neandertaler, während der globalen Ausbreitung des großen Eroberers Homo sapiens ausgerottet wurde.
    Der Homo sapiens , der erfolgreiche Abkömmling des Homo erectus , ist bei objektiver Betrachtung sogar ein noch größeres Rätsel als die Pygmäen auf Flores. Außer der gewölbten Stirn, dem übergroßen Gehirn und den langen, schmal zulaufenden Fingern weist unsere Art noch weitere auffällige biologische Merkmale auf, die die Taxonomen als «diagnostisch» bezeichnen – das heißt, in ihrer Kombination sind einige unserer Merkmale unter allen Tieren einzigartig:
    – produktive Sprache auf der Grundlage infiniter Rekombinationen willkürlich erfundener Wörter und Symbole;
    – Musik mit einem weiten Klangspektrum, ebenfalls in infiniten Rekombinationen und mit individuell gewählten stimmungsbildenden Mustern; fast durchgehend mit Metrum;
    – ausgedehnte Kindheit und damit lange Lernphasen unter der Führung der Erwachsenen;
    – anatomisch

Weitere Kostenlose Bücher