Die spaete Ernte des Henry Cage
ihr Tagebuch geschrieben, die Bäume würden ihr über die Felder zuwinken. Als ihr Vater meinte, es sei an der Zeit, die Pappeln zu fällen, stiegen ihr Tränen in die Augen,und sie stritt mit ihm. Jetzt hatte sie den aufgeregten Hal mitgenommen, um beim Fällen zuzuschauen. Wollte sie ihrem Sohn einen Gefallen tun oder ihren Vater versöhnlich stimmen?
Tom wusste, es war nichts von beidem. Jane war aus demselben Grund da, aus dem sie um fünf Uhr früh aufstehen würde, um eine Freundin am Flughafen zu verabschieden. Sie glaubte einfach an die Bedeutsamkeit von Abschieden – persönlich da zu sein, um Auf Wiedersehen zu sagen.
Tom hatte das Haus für sich allein; er ging nach unten und schloss den Laden. Bei dem schlechten Wetter kam keine Kundschaft. Im Büro hinten auf dem Tisch stapelten sich die Bücher, die noch versandt werden mussten. Am liebsten hätte er den Nachmittag mit Packpapier, Luftpolsterfolie und Klebestreifen verbracht – alles, um nur ja nicht seinem Vater schreiben zu müssen. Er versuchte, sich den Brief in Gedanken zurechtzulegen, eine chronologische Auflistung ihrer Entfremdung, doch das schien alles so lange her, kalter Kaffee.
Der Liebhaber seiner Mutter war berühmt gewesen: der männliche Hauptdarsteller in einer Seifenoper, in der er einen charismatischen, aber risikofreudigen Weiberhelden spielte. Als das Leben des Schauspielers mit seiner Rolle zusammenfiel, konnten die Schmierblätter nicht mehr an sich halten. »TERRY SPANNT CITYLÖWEN DIE FRAU AUS«, lautete eine der Schlagzeilen. Darunter das Foto eines geplagt wirkenden Henry vor seinem Haus. Die Fotografen hatten tagelang vor dem Gartentor gelauert. Werhatte der Presse einen Tipp gegeben? Tom erinnerte sich noch, dass sein Vater den Schauspieler selbst im Verdacht hatte, und spätere Vorkommnisse hatten ihm womöglich recht gegeben.
Drei Monate später war die Affäre vorüber, und Hugh, alias Terry, war zu der jungen blonden Moderatorin einer regionalen Frühstückssendung gewechselt. Die Zeitungen waren gnadenlos gewesen. In der darauffolgenden Woche war Nessa in ihrem örtlichen Supermarkt fotografiert worden, wie sie »Dinner for One« einkaufte, so höhnte die Bildunterschrift. An jenem Vormittag hatte Nessa Henry angerufen und gesagt, sie wolle zu ihm zurückkehren, doch Henry hatte abgelehnt.
»Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht.«
»Verdammt noch mal, Dad, sie braucht dich – sie zerbricht daran. Wieso rennst du bei der Arbeit mit einem verdammten Heiligenschein herum, und zu Hause bist du so ein Mistkerl? Um Himmels willen, hilf ihr!«
Toms Stimme war immer leiser geworden, er war sich daher nicht sicher, ob sein Vater den Schlusssatz gehört hatte: »Hilf
mir
.«
Dieser Appell hatte Henry im Büro erreicht. Henry war entschlossen gewesen, dafür zu sorgen, dass die Arbeitsabläufe der Firma nicht durch Zeitungsmeldungen beeinträchtigt wurden, und so war er zur üblichen Zeit im Büro erschienen. Das Foto, so grausam es auch für Nessa sein mochte, war für ihn nur die neueste einer langen Reihe von öffentlichen Demütigungen. Seine Frau zu verlieren, war ein einmaliges Missgeschick; der Gesichtsverlusthingegen schien ein Prozess zu sein, der kein Ende nahm.
An diesem Morgen waren die Zeitungen mit dem fetten Rotdruck auf der Titelseite von der Postabteilung noch nicht in Umlauf gebracht worden, doch gegen zehn Uhr hatten selbst jene, die in frühmorgendlichen Meetings gesessen hatten, das Foto von der Frau des Chefs gesehen, wie sie am Kühlregal ihr Fett abbekam.
»Das kann ich nicht, Tom. Es tut mir leid.«
Dann hatte Henry an seinem Schreibtisch den Telefonhörer genommen und mit seiner Sekretärin im Vorzimmer gesprochen.
Tom war nach Norwich zurückgefahren und hatte Nessa mitgenommen. Er war in seinem letzten Jahr an der Uni und teilte sich eine Wohnung mit Jane. Er wusste, dass Nessa jetzt besser nicht allein sein sollte. Von den beiden Zurückweisungen hatte die von Henry den größeren Schaden angerichtet. Sie war noch immer Nessa, sprach tapfer von einem neuen Leben und davon, dass sie nichts bedauerte, doch ihr Körper strafte sie Lügen. Sie hatte acht Kilo abgenommen, und ihre Gliedmaßen kamen einfach nicht zur Ruhe, unentwegt bewegten sich ihre Beine, selbst wenn sie auf dem Sofa lag.
Tom und Jane steckten mitten in den Prüfungen und waren den Großteil des Tages auf dem Campus. Kamen sie am Nachmittag zurück, lag Nessa immer auf dem Sofa, meist schlief sie, ein Buch – und
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