Die spaete Ernte des Henry Cage
seines Vaters bequem. Am Wochenende nässte er das Bett ein, zum ersten Mal seit Monaten.
Früher hatte Tom immer gewusst, wie er seinem Sohn aus solchen Anfällen von Traurigkeit heraushelfen konnte. Mit zwei Jahren war der Kummer des Jungen leicht zu erkennen und schnell zu heilen gewesen. Wenn irgendetwas nicht klappte, wie es sollte, dann ließ sich Hal zu Boden fallen, das Gesicht nach unten, stumm, ein winziges Bündel gefrorenen Jammers. Manchmal hatte sich Tom dann neben ihn gelegt, hatte nichts gesagt, war so stumm geblieben wie der Junge und hatte gewartet. Nach einer kurzen Weile hatte sich Hal auf die Seite gedreht und seinen Vater an den Haaren gezogen, zum Zeichen, dass die Trübsal vergangen war.
Andere Male war Tom über seinen Sohn hinweggestiegen und mit der Bemerkung in der Küche verschwunden,er habe noch etwas zu tun. Jedes Mal machte er ein Geräusch, mehrere Geräusche, um genau zu sein. Das Geräusch von zwei Gläsern, die auf der Küchentheke landeten, das gedämpfte Klappern der Kühlschranktür, die geöffnet und wieder geschlossen wurde, und dann das Zischen entweichender Kohlensäure, wenn Tom eine Dose Cola öffnete. Und siehe da, Hal war wieder auf den Beinen gewesen und hatte grinsend in der Küchentür gestanden.
Doch diesmal war sein Kummer anders – anders auch als Krankheitsjammer. Tom hatte Hal schon passiv und vom Fieber verwirrt erlebt; er hatte mit ihm die Nacht durchwacht und Eukalyptus vom Kopfkissen seines Sohnes eingeatmet. Damit kannte er sich aus, er wusste, was zu tun war, doch was seinen Sohn jetzt quälte, waren Verlustängste, und dagegen wusste auch Tom kein Mittel.
Das Bettnässen hörte wieder auf. Aber Hals Lebhaftigkeit kehrte nicht zurück. Tom und Jane versuchten es mit Ablenkungen.
Zum sonntäglichen Familienessen bei den Burnhams hatten sie einen von Hals Cousins gebeten, doch dessen neuen Hund mitzubringen, einen weißen Parson-Russell-Terrier mit einem schwarzen Ring um ein Auge. Die Lebenslust des Hundes war ansteckend gewesen. Sein ungestümes Herumtollen hatte Hal zum Lachen gebracht, doch auf dem Heimweg im Wagen war er wieder schwermütig geworden.
»Wann kommt Opa Henry?«, fragte er.
»Nächstes Wochenende. Er schaut sich das neue Haus an.«
Hal beschloss, seinen Großvater nach Nessa zu fragen. Er würde wissen, wo sie war.
Henry traf am Samstag ein, einen Tag nach Nessas Überseekoffern. Er hatte Tom gebeten, zur White Horse Farm zu fahren und die Sendung entgegenzunehmen. In den Kofferraum seines Mercedes’ hatte Henry einen zusammengerollten Futon gepackt, einen Schlafsack und die kleine Fernseh-Video-Kombination aus seinem Schlafzimmer in London. Er wollte die Koffer öffnen, ein paar Videokassetten abspielen und eine Nacht in dem leeren Haus schlafen. In Swaffham hielt er am Supermarkt und kaufte ein, was er für seinen kurzen Aufenthalt brauchte.
Es war Ende Juni, und der Garten stand in voller Pracht. Henry sah, dass Tom herübergekommen war und den Rasen gemäht hatte. Alles wirkte makellos. In den kommenden Jahren sollte er erkennen, was für ein gesegnetes Fleckchen Erde die White Horse Farm war. Sie lag in einer flachen Senke und wurde im Nordosten von Wäldern geschützt, wodurch sie den schlimmsten Winterstürmen entging und der Sommer früh einkehrte. Im Garten blühten die Rosen üppig, und alle Früchte wurden reif. Im September hingen die Reben an den nach Süden gewandten Mauern voller Trauben. Schon an jenem ersten Morgen, noch bevor er das ganze Ausmaß seines Glücks hatte erkennen können, wusste Henry, dass der Wegzug aus London ihm nicht schwerfallen würde.
Henry fand die Schlüssel dort, wo Tom sie im Schuppen versteckt hatte, und beschloss, erst einmal die Grundstücksgrenzen abzulaufen, bevor er ins Haus ging. ImGemüsegarten, Teil einer höher gelegenen Rasenfläche, die mal einen Tennisplatz beherbergt hatte, blieb Henry stehen und sah sich das Haus an, das sich wie eine zufriedene Katze in der Morgensonne streckte. Das alles schien unendlich weit weg von der King’s Road.
»Sie wissen, wer ich bin, nicht wahr?«
Henry hatte ganz impulsiv gehandelt. Es schien einfach das Richtige zu sein. Er hatte die vermaledeiten Fotos loswerden wollen, und die junge Frau sollte wissen, welche Art von Mann sie da deckte.
Sie hatte genickt.
»Diese hier sind vor ein paar Wochen durch meinen Briefschlitz geworfen worden. Lassen Sie den Umschlag ruhig zu. Niemand sonst hat sie gesehen.«
Dann hatte er den Umschlag auf
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