Die Sphaeren
ganz gleich, wie viele Schalen und Ebenen es von so bescheidenen Leuten wie uns entfernt sein mag. Wir sind alle eins, so hoffe ich, in unserer Liebe zur Gerechtigkeit, und in unserem Wunsch, das Böse bestraft und das Gute belohnt zu sehen.«
»Es ist natürlich so, wie Sie sagen«, erwiderte Shoum glatt. »Doch aus einer weiter entfernten Perspektive gesehen kann man sich nicht der Erkenntnis verschließen, dass besagte Regeln im Wesentlichen um jener Gerechtigkeit willen existieren. Wir versuchen, den uns anvertrauten Völkern gegenüber gerecht zu werden, und deshalb nehmen wir Abstand von der immer leichten Möglichkeit des Eingreifens. Man könnte bei jeder sich bietenden Gelegenheit intervenieren, immer dann, wenn sich die Dinge nicht so entwickeln, wie es sich anständige, vernünftige Geschöpfe wünschen. Doch mit jedem Eingreifen – ganz gleich, wie individuell gut gemeint
und scheinbar richtig – nimmt man den Leuten, denen man eigentlich helfen möchte, ein Stück ihrer Freiheit und Würde.«
»Gerechtigkeit ist Gerechtigkeit, Ma’am. Schändlichkeit und Verrat sind, was sie sind. Man kann so weit zurückweichen, dass man sie aus den Augen verliert – wenn man zurückkehrt, erkennt man ihre Verdorbenheit sofort an Farbe und Form. Wenn ein gewöhnlicher Mensch ermordet wird, so bedeutet es sein Ende und eine Katastrophe für seine Familie; was darüber und über unser Mitgefühl hinaus betroffen ist, hängt von der Bedeutung der getöteten Person ab. Ganz anders sieht die Sache aus, wenn ein König ermordet, das ganze Land vom rechtmäßigen Weg abgebracht und in eine neue Richtung gelenkt wird. Die Art der Reaktion auf ein solches Verbrechen weist deutlich auf den Wert derjenigen hin, die davon Kenntnis erhalten und in der Lage sind, die Schuldigen zu bestrafen oder ihre Tat durch die eigene Untätigkeit zu unterstützen. Die Reaktion stellt ein lehrreiches Fanal für alle Untertanen dar und nimmt maßgeblichen Einfluss auf die moralische Grundstruktur ihres Lebens. Sie beeinflusst das Schicksal ganzer Nationen und Philosophien, Ma’am; sie beschränkt sich nicht auf einen vorübergehenden Aufruhr in den Gossen.«
Die Generaldirektorin gab ein trockenes Geräusch von sich, wie ein Seufzen. »Vielleicht ist es für Menschen anders, lieber Prinz«, sagte sie und klang traurig. »Wir haben festgestellt, dass das zu wenig disziplinierte Kind schließlich mit dem Leben kollidiert und auf diese Weise seine Lektionen lernt, allerdings auf eine härtere, schwierigere Art, weil es seinen Eltern an Mut und Sorge mangelte. Das zu sehr disziplinierte
Kind verbringt sein ganzes Leben in einem selbst gemachten Käfig oder bricht so wild und lasterhaft aus, mit ungezügelter Kraft, dass es viele Personen in der Nähe verletzt, vor allem aber sich selbst. Uns ist das zu wenig disziplinierte Kind lieber, weil wir glauben, dass es langfristig besser zurechtkommt – obwohl das zunächst streng und hart erscheinen mag.«
»Nichts zu tun, ist immer leicht«, sagte Ferbin und versuchte nicht, die Bitterkeit aus seiner Stimme fern zu halten.
»Nichts zu tun, wenn man sehr versucht und auch dazu imstande ist, etwas zu tun, kann sehr schwer sein. Es wird nur leichter, wenn man weiß, dass die eigene Aktivität nicht zur Verbesserung der Lebensumstände anderer beiträgt.«
Ferbin holte tief Luft und ließ den Atem langsam entweichen. Er senkte den Kopf und sah durchs nächste transparente Rund im Boden. Es zeigte einen weiteren Krater, der unter ihnen wie eine gelbbraune Wunde in Sursamens dunkler Oberfläche dahinglitt. Er verschwand, als das Schiff den Flug fortsetzte, und ließ nur das leere, ungeschmückte Antlitz der Schalenwelt zurück.
»Wenn Sie mir nicht dabei helfen wollen, meinen Bruder vor der ihm drohenden Gefahr zu warnen, Ma’am … Sehen Sie sich imstande, eine andere Art von Hilfe zu leisten?«
»Gewiss. Wir können Sie auf den Weg zum ehemaligen Kultur-Menschen und ehemaligen Agenten der Besonderen Umstände namens Xide Hyrlis bringen und Ihnen ein Treffen mit ihm ermöglichen.«
»Es stimmt also. Xide Hyrlis ist jetzt Ex-Kultur?«
»Das glauben wir. Bei den BU kann man nie ganz sicher sein.«
»Hat er nach wie vor die Möglichkeit, uns zu helfen?«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich kann Ihnen nur mit ziemlicher Sicherheit bei der Lösung Ihres ersten Problems helfen, das darin besteht, ihn zu finden. Es wäre ein Problem für Sie, weil die Nariscene ihn eifersüchtig abschirmen –
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