Die Sphaeren
Hundertste Idiot und die orbitale Transitstation trennten sich so sanft voneinander wie die Hände von Liebenden, dachte Holse. Er beobachtete den Vorgang auf einem großen runden Schirm in einem der öffentlichen Bereiche des Schiffes. Außer ihm hielt sich niemand dort auf. Er hätte lieber durch ein richtiges Bullauge oder Fenster geschaut, aber es gab keine.
Röhren, Gerüste und dehnbare Tunnel aller Art verabschiedeten sich voneinander und wichen zurück wie Hände in Ärmeln an einem kalten Tag. Dann schrumpfte die Transitstation, und man konnte den ganzen knubbeligen Komplex erkennen, auch die absurd langen Stränge, die ihn mit der Oberfläche von Sursamen verbanden.
Alles geschah in Stille, wenn man das Gekreische überhörte, das angeblich Nariscene-Musik war.
Holse beobachtete, wie Sursamen sich auf dem runden Schirm wölbte, als die Station schnell schrumpfte und schon nach kurzer Zeit so klein wurde, dass man sie nicht mehr sehen konnte. Wie groß und dunkel die Welt war, gefleckt von den hellen Kraterkreisen. Ungefähr ein Viertel der Weltenkugel präsentierte sich Holse, und darin sah er ungefähr zwanzig solcher Gebiete, jedes von ihnen in einer anderen Farbe, die von der jeweiligen Atmosphäre abhing.
Das Schiff entfernte sich weiter, und die Transitstation war inzwischen verschwunden. Holse konnte jetzt den vollständigen Planeten Sursamen sehen – der Bildschirm zeigte die ganze Welt. Ihm fiel die Vorstellung schwer, dass er den Ort,
an dem er sein ganzes Leben verbracht hatte, mit einem Blick erfassen konnte. Er sah vom einen Pol zum anderen, und seine Augen mussten sich nur einen Millimeter in ihren Höhlen bewegen. Die Entfernung wuchs noch mehr, und Sursamen wurde noch kleiner. Jetzt konnte Holse die ganze Welt mit einem statischen, unbewegten Blick erfassen und sie mit einem Blinzeln verschwinden lassen …
Er dachte an seine Frau und die Kinder, fragte sich dabei, ob er sie jemals wiedersehen würde. Wie seltsam: Solange Ferbin und er in der Achten gewesen waren, ständig der Gefahr ausgesetzt, getötet zu werden, und auch während der Reise nach oben, die keineswegs in Sicherheit erfolgt war, hatte er nicht einmal daran gezweifelt, seine Familie irgendwann wiederzusehen. Jetzt, da sie sich an Bord dieses Raumschiffs befanden und ihnen keine Gefahr mehr drohte – so hoffte er -, beobachtete er das schnelle Schrumpfen seiner Heimatwelt und begann, an einer sicheren Heimkehr zu zweifeln.
Er hatte nicht einmal darum gebeten, seiner Familie eine Nachricht zu übermitteln. Wenn sich die Fremden nicht dazu herabließen, auf das entsprechende Anliegen eines Prinzen einzugehen, so würden sie der Bitte eines weitaus geringeren Mannes bestimmt keine Beachtung schenken. Trotzdem, vielleicht hätte er fragen sollen. Es bestand sogar die Möglichkeit, dass man ihm seinen Wunsch erfüllt hätte, weil er nur ein Diener und somit unwichtig war. Die Nachricht, dass er noch lebte, übte auf die größeren Ereignisse vermutlich nicht annähernd so weitreichenden Einfluss aus wie der Hinweis, dass Ferbin noch zu den Lebenden zählte. Andererseits, wenn seine Frau wusste, dass er nicht tot war, und wenn die Mächtigen davon hörten, so sähen sie darin vermutlich einen
Beweis dafür, dass auch Ferbin noch lebte, und somit käme einer derartigen Nachricht doch große Bedeutung zu. Gewisse Leute hätten vielleicht wissen wollen, woher seine Frau davon wusste, und das wäre vielleicht mit nicht unerheblichen Unannehmlichkeiten für sie verbunden gewesen. Nein, dachte Holse. Er musste die Sicherheit seiner Frau gewährleisten, indem er sich nicht mit ihr in Verbindung setzte. Diese Erkenntnis brachte Erleichterung.
Wie er es auch machte, war es falsch. Wenn sie jemals zurückkehrten, würde ihm seine Frau vermutlich einen Vorwurf daraus machen, noch am Leben zu sein, nachdem er so verlässlich tot gewesen war.
Senble, die Gute, war eine einigermaßen attraktive Frau und eine verantwortungsbewusste Mutter, gehörte aber nicht zu den gefühlvollsten Menschen, jedenfalls nicht in Bezug auf ihren Ehemann. Holse hatte immer den Eindruck, dass er allein mit seiner Anwesenheit Unordnung schuf in ihrer Wohnung in der Bedienstetenkaserne des Palastes. Ihnen standen nur zwei Zimmer zur Verfügung, was nicht viel war, wenn man vier Kinder hatte, und er fand nur selten eine Stelle, wo er sich hinsetzen, eine Pfeife rauchen und in Ruhe Zeitung lesen konnte. Immer wieder musste er aufstehen und den Platz wechseln,
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