Die Sphaeren
des Botschafters so etwas wie einen Sinn erkennen, wenn man sie schriftlich vor sich liegen hatte und lange genug über sie nachdachte. Doch dazu fehlte ihm jetzt die Zeit.
»Danke für Ihre freundlichen Worte«, erwiderte er schnell, nickte und wandte sich halb der Treppe zu.
Der Botschafter wich ein wenig zurück und hinterließ eine feuchte Stelle auf den Fliesen. »Aufhalten. Gehen Sie dorthin, wohin gehen. Nehmen Sie, was ich Ihnen geben würde. Wissen um Ähnlichkeit. Oct, Erben, abstammen von Veil, erben. Sie, erben. Auch ist Bedauern.«
»Mit Ihrer Erlaubnis, Sir«, sagte Fanthile zum Botschafter. Oramen und er verbeugten sich und hasteten dann den Rest der Treppe hinunter ins Erdgeschoss.
Die Aufregung auf dem Hof betraf vor allem eine Gruppe von Herzögen, Grafen und Rittern, die laut darüber stritten, wer den Prinzen begleiten sollte, wenn er der Bahre seines Vaters entgegenritt.
Oramen blieb in den Schatten stehen, die Arme verschränkt, und wartete darauf, dass man ihm sein Reittier brachte. Als er unweit der Rückwand des Hofes zurückwich, geriet er mit dem einen Fuß in einen Haufen Dung. Er schüttelte einen Teil des Kots ab und versuchte, den Rest an der Mauer abzukratzen. Der Dunghaufen dampfte noch. Oramen fragte sich, ob man anhand von Erscheinungsbild und Konsistenz der Ausscheidungen feststellen konnte, von welchem Geschöpf sie stammten. Wahrscheinlich ja, vermutete er.
Er sah zum Himmel auf. Jenseits der den Hof erhellenden Laternen an den Mauern zeigte eine matte rote Linie den abkühlenden Kurs des Rollsterns Pentrl, der seit vielen Stunden untergegangen war und viele Tage verschwunden bleiben würde. Sein Blick ging zum Fastpol, wo man Domitys Aufgang erwartete, aber dies war eine relativ lange Nacht, und es trennten sie noch Stunden vom ersten Licht des Rollsterns. Oramen glaubte, in der Ferne eine Andeutung des Keande-yiine-Turms zu sehen, der in die Dunkelheit weiter
oben reichte – der untere Teil des Xiliskischen Turms war zwar näher, blieb aber hinter einer hohen Zinne des Palastes verborgen. Der Xiliskische Turm. Beziehungsweise 213Turm52. So nannten ihn ihre Mentoren, die Oct. Oramen mochte die Bezeichnung »Turm von Xilisk« lieber.
Er widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Hof. So viele Adlige. Er hatte angenommen, dass sie alle losgezogen waren, um gegen die Deldeyn zu kämpfen. Andererseits, sein Vater hatte schon vor langer Zeit zwischen den Adligen unterschieden, die einem Hof Würde und Anmut brachten, und jenen, die in der Lage waren, erfolgreich in einem modernen Krieg zu kämpfen. Die ausgehobenen Truppen, kunterbunt zusammengewürfelt und von ihren Lords befehligt, hatten noch immer ihren angestammten Platz, doch die Neue Armee bestand zum einen Teil aus Berufssoldaten und zum anderen aus gut ausgebildeten Volksmilizen, alle befehligt von Offizieren, nicht von Adligen. Oramen bemerkte in dem Durcheinander auch einige hochrangige Priester und Parlamentarier, die ebenfalls aufbrechen wollten. Er hatte sich vorgestellt, allein oder in Begleitung einiger weniger Bediensteten loszureiten. Stattdessen deutete alles darauf hin, dass er ein kleines Heer anführen sollte.
Man hatte Oramen geraten, sich von der Schlacht draußen in der Ebene fernzuhalten, und er hatte sich ohnehin nicht für sie interessiert. Werreber, einer der unfreundlichsten Generäle seines Vaters, hatte ihm am Abend zuvor versichert, dass mit ziemlicher Sicherheit ein Sieg zu erwarten war. In gewisser Weise empfand er die eigene Gleichgültigkeit als bedauerlich. Noch vor einigen Jahren wäre er von der Kriegsmaschinerie und der Positionierung aller Truppenteile fasziniert
gewesen. Die strenge numerische Struktur des Planens und die extreme Funktionalität aller Komponenten hätten ihn beeindruckt und beschäftigt.
Doch inzwischen hatte er das Interesse an den Dingen des Krieges verloren. Sie schienen im Widerspruch zu dem modernen Zeitalter zu stehen, das sie herbeiführen sollten. Der Krieg selbst wurde altmodisch und unzeitgemäß. Ineffizient, verschwenderisch, prinzipiell zerstörerisch – er konnte keinen Platz haben in der glänzenden pragmatischen Zukunft, die die größten Denker des Königreichs voraussahen.
Nur Leute wie Oramens Vater bedauerten so etwas. Was ihn betraf: Er sah darin einen Grund zum Feiern.
»Mein Prinz«, erklang eine Stimme hinter ihm.
Oramen drehte sich um. »Tove!«, entfuhr es ihm, und er klopfte dem anderen jungen Mann auf den Rücken. Tove Lomma war
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