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Die Sphaeren

Die Sphaeren

Titel: Die Sphaeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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gutes Gemälde abgegeben, dachte er, erst recht von einem der alten Meister
gemalt, von Dilucherre zum Beispiel, oder Sordic. Vielleicht sogar von Omoulldeo. Und fast im gleichen Moment fand er einen Ausweg aus seinem Dilemma: Er würde stehlen.
    Natürlich nicht von einem Gemälde, aber aus einem Theaterstück. Es gab genug alte Tragödien mit ähnlichen Szenen und geeigneten Reden für ihn zur Auswahl, um ein Dutzend tote Väter und tapfere Krieger zu begrüßen – die Auswahl war schwieriger als das Problem, das er damit zu lösen gedachte. Er würde Dinge aus dem Gedächtnis zurückrufen, neu zusammenstellen und improvisieren.
    »Dies ist in der Tat ein sehr trauriger Tag«, sagte Oramen und hob Stimme und Kopf. »Wenn deine Kraft meinen Vater ins Leben zurückbringen könnte, so würdest du sie zweifellos dafür einsetzen. Stattdessen wird dein Elan den besten Interessen unseres Volkes dienen. Du bringst uns gleichzeitig Kummer und Freude, mein guter tyl Loesp, doch trotz des Leids, das uns jetzt heimsucht, und trotz der Zeit, die wir der Trauer um unsere gefallenen Kameraden widmen müssen: Die Genugtuung über diesen großen Sieg wird hell scheinen, wenn die Zeit des Schmerzes vorbei ist, was sicher dem Wunsch meines Vaters entspricht.
    Die Summe seines in höchstem Maße ruhmreichen Lebens hat schon vor dem großen Triumph dieses Tages Anlass zu Feiern gegeben, und das Gewicht jenes Resultats ist noch majestätischer geworden durch die Heldentaten all jener, die mit ihm vor dem Xiliskischen Turm kämpften.« Oramen unterbrach sich kurz und ließ seinen Blick in die Runde schweifen. Er versuchte, seine Stimme noch mehr zu heben, als er fortfuhr: »Mein Vater führte heute einen Sohn in den Krieg, und einen anderen, mich, ließ er daheim. Ich habe sowohl
Vater und Bruder als auch König und rechtmäßigen Erben des Throns verloren. Sie überstrahlen mich im Tode wie zuvor im Leben, und Mertis tyl Loesp, dem es ohnehin nicht an Verantwortung mangelt, muss sie beide für mich ersetzen. Ich sage euch: Ich kann mir niemanden vorstellen, der für diese Aufgabe besser geeignet wäre.« Oramen nickte dem vor ihm stehenden ernsten Krieger zu, atmete dann tief durch und wandte sich noch einmal an die Menge um ihn herum. »Ich weiß, dass ich am Ruhm des heutigen Tages keinen Anteil habe – ich glaube, meine jungenhaften Schultern würden nicht einmal dem Bruchteil einer solchen Last standhalten -, aber ich bin stolz darauf, hier beim Volk der Sarl zu stehen, große Taten zu ehren und jemandem Respekt zu zollen, der uns Grund zum Feiern gab und uns zeigte, was Ehre und Respekt bedeuten.«
    Dies brachte dem Prinzen Jubel ein, der langsam begann und immer lauter wurde. Oramen hörte, wie Schwerter an Schilde geschlagen wurden, und Fäuste an Brustharnische. Wie ein moderner Kommentar diesem alten Brauch gegenüber knallten Feuerwaffen und schickten Kugeln einem umgekehrten Hagel gleich gen Himmel.
    Mertis tyl Loesp hatte während Oramens Rede eine steinerne Miene gewahrt, aber jetzt wirkte er kurz überrascht und sogar alarmiert. Der Ausdruck huschte wie ein Schatten durch sein Gesicht und war vielleicht nicht mehr als das, nur ein Schatten, projiziert vom unsteten Schein der Reiselaternen und dem matten Glühen der immer noch nicht aufgegangenen Nebensonne. Er kam und verschwand, kaum zu erkennen.
    »Darf ich meinen Vater sehen, Sir?«, fragte Oramen. Er
stellte fest, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug und er schnell atmete. Trotzdem gab er sich alle Mühe, ruhig und würdevoll zu wirken, wie man es von ihm erwartete. Doch wenn dieses Publikum auch von ihm erwartete zu heulen, zu schreien und sich die Haar zu raufen, wenn er die Leiche sah, so würde er es enttäuschen.
    »Er liegt dort, Sir«, sagte tyl Loesp und deutete zu einem langen Wagen.
    Sie gingen dorthin, und die vielen Männer – die meisten von ihnen bewaffnet, viele von ihnen traurig und kummervoll – machten ihnen Platz. Oramen sah den großen, hageren General Werreber, der am vergangenen Abend die bevorstehende Schlacht erläutert hatte, und den Gepriesenen Chasque, Oberhaupt der Priester. Beide nickten ihm zu. Werreber wirkte alt und müde und trotz seiner Größe irgendwo in der Uniform geschrumpft. Chasque, in einem prächtigen Umhang über der glänzenden Rüstung, rang sich jene Art von erzwungenem Lächeln ab, mit dem einem die Leute manchmal mitteilen wollten, dass man tapfer oder stark sein sollte.
    Sie kletterten auf die Plattform mit der

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