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Die Sphaeren

Die Sphaeren

Titel: Die Sphaeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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hölzerne Deck. Das Tau glitt davon, langsam erst, dann schneller, verschwand schließlich über den Heckbalken und fiel in den Fluss.
    Die Geschwindigkeit des Schleppers wuchs, und er änderte den Kurs, fuhr jetzt direkt stromaufwärts. Tyl Loesp sah zu den anderen Schleppern und vergewisserte sich, dass ihre Taue ebenfalls gelöst wurden. Er beobachtete, wie auch ihre Seile übers Heck rutschten und die Schiffe, von ihrer Last befreit, stromaufwärts durch die braunen Fluten pflügten und dabei Bugwellen vor sich auftürmten.
    Es dauerte eine Weile, bis die Mönche auf den Kähnen begriffen, was geschah. Tyl Loesp wusste nicht, ob er ihr Jammern und ihre Schreie tatsächlich hörte oder es sich nur einbildete.
    Sie sollten froh sein, dachte er. Der Wasserfall war ihr Leben gewesen; sollte er auch ihr Tod sein. Was hatten sich die obstruktiven Kerle sonst gewünscht?
    Männer seines Vertrauens waren stromabwärts beim Hauptbecken des Katarakts postiert. Sie würden sich um die Mönche kümmern, die den Sturz in die Tiefe überlebten, obwohl die historischen Aufzeichnungen darauf hinwiesen: Wenn man tausend Mönche über den Wasserfall schickte, so war es unwahrscheinlich, dass einer überlebte.
    Die Kähne verschwanden im Dunst und gerieten außer
Sicht, bis auf einen, der dicht vor dem Wasserfall an einen Felsen stieß. Der Bug ragte auf dramatische Weise empor, bevor sich der Kahn zur Seite neigte und ebenfalls verschwand.
    Auf dem Weg zum Hafen versagte bei einem Schlepper die Maschine – eine plötzliche Qualmwolke aus den Schornsteinen wies deutlich darauf hin. Zwei andere warfen Taue hinüber und retteten Schiff und Mannschaft, bevor sie, wie zuvor die Kähne, dem Katarakt zum Opfer fallen konnten.
     
    Tyl Loesp stand auf einem Gerüst, das wie eine halb fertiggestellte Brücke aussah, über den Rand der Nahpolklippe ragte und direkten Ausblick auf den Hyeng-zhar ermöglichte, der allerdings zum größten Teil von Dunst und Wolken verhüllt war. Ein Mann namens Jerfin Poatas – älter, gebeugt, dunkel gekleidet und auf einen Stock gestützt – stand an seiner Seite. Poatas stammte wie er aus dem Volk der Sarl, ein Gelehrter und Archäologe, der sein Leben dem Studium des Wasserfalls gewidmet hatte und seit zwanzig oder dreißig Jahren hier lebte, in der großen, dauerhaft provisorischen, sich immerzu nach vorn schiebenden Hyeng-zhar-Siedlung. Seit Langem hieß es, dass seine Loyalität vor allem Studium und Wissen galt und nicht Land oder Staat, was ihn allerdings nicht davor geschützt hatte, von den Deldeyn während ihres Krieges gegen die Sarl für kurze Zeit interniert zu werden. Nach der Eliminierung der Missionsmönche war er jetzt, durch tyl Loesps Dekret, Leiter der Ausgrabungen.
    »Die Brüder waren vorsichtig und konservativ, wie jeder guter Archäologe bei einer Ausgrabung«, wandte sich Poatas an tyl Loesp. Er musste die Stimme heben, um sich im Donnern des Wasserfalls verständlich zu machen. Dann
und wann stiegen große Gischtwolken auf und hinterließen Tröpfchen auf ihren Gesichtern. »Aber sie übertrieben es mit der Vorsicht. Eine normale Ausgrabung wartet; man kann es sich leisten, sorgfältig zu sein. Man geht bedächtig vor, notiert und untersucht alles, zeichnet die Dinge in der Reihenfolge ihrer Entdeckung auf und sorgt dafür, dass sie erhalten bleiben. Dies hier ist aber keine normale Ausgrabung; sie wartet auf nichts und niemanden. Bald wird alles in Eis erstarren, und eine Zeit lang ist das Leben hier dann einfacher, wenn auch kälter. Doch die Brüder wollten dabei genauso verfahren wie in der Vergangenheit. Sie waren entschlossen, die Ausgrabungsarbeiten während der Zeit des Eises ruhen zu lassen, aus Überdruss oder Pietät. Selbst der König lehnte es ab einzugreifen.« Poatas lachte. »Können Sie sich das vorstellen? Ein einziges Mal während des sonnenmeteorologischen Zyklus – einmal im Leben -, ist der Katarakt für Forschungen und Ausgrabungen zugänglich, und die Mönche wollten die Arbeiten einstellen!« Poatas schüttelte den Kopf. »Narren.«
    »Ja«, pflichtete ihm tyl Loesp bei. »Nun, sie herrschen hier nicht mehr. Ich erwarte Großes von diesem Ort, Poatas«, sagte er zu dem Gelehrten und sah ihn kurz an. »Nach Ihren eigenen Berichten ist dies eine Schatzkammer, deren Potenzial die Mönche immer heruntergespielt und nicht genutzt haben.«
    »Und sie haben es immer hartnäckig abgelehnt, die Schatzkammer richtig zu erforschen«, sagte Poatas und nickte.

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