Die Sphaeren
Bahre des Königs. Zwei Priester in angemessen zerrissener Kleidung wachten neben dem Leichnam, im Schein einer einzelnen, zischenden Reiselaterne, die weißes, scharfes Licht auf die Bahre warf. Das Gesicht von Oramens Vater war grau und wie eingefallen, als grübelte er über ein sehr schwieriges Problem. Ein silbernes, mit Goldfäden durchwirktes Tuch bedeckte ihn vom Hals bis zu den Füßen.
Eine Zeit lang stand Oramen da und blickte auf seinen Vater hinab. Schließlich sagte er: »Zu seinen Lebzeiten sprachen die Taten für ihn. Im Tod muss ich so stumm sein wie all die
Dinge, die er nicht mehr tun kann.« Er klopfte tyl Loesp auf den Arm. »Ich bleibe bei ihm, während wir zur Stadt zurückkehren.« Er schaute nach hinten. Ein Mersicor, ein großes Tier in vollem Ornat, war dort angebunden, der Sattel leer. »Ist das …«, begann Oramen und räusperte sich demonstrativ. »Ist das das Ross meines Vaters?«
»Ja«, bestätigte tyl Loesp.
»Und das Tier meines Bruders?«
»Wir haben es nicht gefunden, Sir.«
»Mein Ross soll ebenfalls an den Wagen gebunden werden, hinter dem meines Vaters.«
Oramen nahm neben dem Kopf des toten Königs Platz. Dann stellte er sich Fanthiles Gesicht vor, dachte daran, dass eine solche Position für unangemessen gehalten werden könnte, und setzte sich zu Füßen seines Vaters.
Eine ganze Weile saß er da, mit überkreuzten Beinen und gesenktem Blick, während die beiden Mersicors hinter dem Wagen herliefen – ihr Atem kondensierte in der kühlen, dunstiger werdenden Luft. Die große Kolonne aus Menschen, Tieren und Karren legte den Rest der Strecke zur Stadt schweigend zurück; man hörte nur das Knarren der Räder und Achsen, das gelegentliche Knallen einer Peitsche und das Schnaufen und Getrappel der Tiere. Der Morgendunst verbarg den aufgehenden Stern des neuen Tages, hob sich dann langsam und verhüllte die oberen Bereiche der Stadt und den Palast.
Als sie sich dem Fastpoltor näherten, wo während der beiden letzten Jahzehnte eine Ansammlung kleiner Fabriken und eigentlich eine neue Stadt entstanden war, leuchtete die temporäre Sonne nur für kurze Zeit und verschwand dann hinter den Wolken.
3
Prunkbau
C houbris Holse fand seinen Herrn am achten jener Orte, an denen er seinen Aufenthalt für möglich gehalten hatte, doch ausgerechnet dort jemanden zu entdecken, den man suchte, war sonderbar genug. Es war auch der letzte Ort, wo eine Suche mehr Sinn machte als zielloses Umherwandern, und deshalb begab er sich erst am Nachmittag des zweiten Tages dorthin, in der Hoffnung, dass es Ferbin tatsächlich zu jenem Ort verschlagen haben mochte.
Der Prunkbau sah aus wie ein kleines Schloss auf einer niedrigen Klippe an einer Schleife des Flusses Feyrla. Eigentlich war es nur ein hohler Mauerring mit Zinnen, zu dem Zweck erbaut, von hier einen besseren Ausblick zu haben als von dem Jagdhaus weiter unten im Tal. Choubris Holse wusste, dass die Kinder des Königs dort mit ihrem Vater gespielt hatten, wenn er, was selten genug geschah, von seinen
diversen Vereinigungskriegen heimkehrte und auf die Jagd ging.
Choubris band seinen Rowel an der niedrigen Tür der Ruine fest, wo er sofort damit begann, Moos von der Mauer zu kratzen. Der Mersicor, der dem Rowel gefolgt war – Choubris hatte ihn für den Fall mitgenommen, dass er seinen Herrn ohne Reittier fand -, knabberte verwöhnt an einigen Blumen. Holse zog Rowels vor, weil sie weniger launisch und ausdauernder waren. Er hätte ein Flugtier nehmen können, aber denen traute er noch weniger. Von königlichen Bediensteten über einem gewissen Rang erwartete man, dass sie fliegen konnten, und er hatte die Ausbildung ebenso ertragen wie die Ausbilder, die ihm zu verstehen gegeben hatten, dass ein grober Klotz wie er solche Ehre nicht verdiente.
Eine richtige Suche, wie so viele andere Dinge, erledigte man am besten zu Fuß, auf dem Boden. Prachtvoll am Himmel zu fliegen mochte ganz nett sein und erweckte zweifellos die Illusion hochherrschaftlicher Überlegenheit, aber eigentlich gab es einem nur Gelegenheit, alle Details gleichzeitig zu überblicken, anstatt nacheinander wie das gewöhnliche Volk. Außerdem waren es in aller Regel – und dabei handelte es sich um eine sehr strenge Regel, wie Choubris schon vor einer ganzen Weile erkannt hatte – eben diese Leute, die auf dem Boden dafür sorgten, dass alles funktionierte … Sie mussten letztendlich für solche Höhenflüge bezahlen. Dieses Prinzip schien für Hohe aller Art
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