Die Sphaeren
Manche Leute sprachen sogar von einigen Überlebenden, die
flussabwärts ans Ufer gespült worden waren, mit Geschichten von Mord und Verrat. Oramen hatte begonnen, an tyl Loesps Bericht vom Massenselbstmord zu zweifeln, doch jetzt löste sich dieser Zweifel auf.
Das Erstaunliche war nicht der Freitod der Mönche, sondern der Umstand, dass sie mit dieser schweren Last auf ihrem Gewissen gelebt hatten. Ein Bündnis mit den Aultridia! Zumindest Kontakt mit ihnen. Mit der Verdorbenheit, die sich gegen den WeltGott selbst verschworen hatte! Oramen fragte sich, welche Konspirationen, Lügen und Geheimnisse der Erzpontifex der Hyeng-zhar-Mission mit dem Aultridia-Meister am anderen Ende des Kommunikationskanals im gerade zerstörten Weltmodell geteilt hatte.
War jene abscheuliche Spezies die leitende, bestimmende Kraft hier am Katarakt gewesen? Die Mönche der Mission hatten die Arbeiten kontrolliert und alle Ausgrabungen überwacht, mit besonderem Augenmerk auf die wichtigsten von ihnen. War die ganze Mission von den Aultridia kontrolliert gewesen? Nun, jetzt konnten sie keine Kontrolle mehr ausüben und würden in dieser Hinsicht entmachtet bleiben, solange er ein Wörtchen mitzureden hatte. Oramen fragte sich, wem er von seinem Gespräch mit dem namenlosen – und zweifellos auch gesichtslosen – Aultridia berichten sollte. Schon beim Gedanken daran drehte sich ihm der Magen um. Sollte er Poatas Bescheid geben, oder General Foise? Poatas würde wahrscheinlich nach einem Weg suchen, die ganze Sache Oramen zur Last zu legen; wahrscheinlich wäre er entsetzt davon, dass Oramen die Kommunikationsvorrichtung zerstört hatte. Und General Foise … Vermutlich hätte er gar nichts verstanden.
Oramen beschloss, niemandem etwas zu sagen, zumindest vorerst nicht.
Er überlegte, ob er das Weltmodell zur Klippe über der Schlucht bringen und in die Tiefe werfen sollte, befürchtete aber, dass es von irgendeinem Sammler gefunden wurde. Schließlich entschied er, es von Neguste zur nächsten Gießerei bringen und in seinem Beisein einschmelzen zu lassen.
Die Gießer waren erstaunt von den Temperaturen, die nötig waren, um das Modell zu verschlacken, und selbst dann blieben noch Teile übrig, die einfach nicht schmelzen wollten; einige trieben an der Oberfläche des geschmolzenen Metalls, andere sanken nach unten. Oramen gab den Befehl, alles in verschiedene Barren zu gießen, die ihm übergeben werden sollten, sobald sie abgekühlt waren.
Als er sich an diesem Morgen auf den Weg gemacht hatte, um das Ende des unterspülten Gebäudes zu beobachten, hatte er die Barren in die Schlucht geworfen und den Rest in Latrinen verschwinden lassen.
»Nun, es klingt alles sehr unangenehm«, sagte Droffo. Er schüttelte den Kopf. »Man hört alle Arten von lächerlichen Geschichten; die Arbeiter stecken voll davon. Zu viel Alkohol und zu wenig Bildung.«
»Nein, es steckt mehr dahinter, Sir«, widersprach Neguste. »Es sind Fakten.«
»Ich glaube, darüber lässt sich streiten«, sagte Droffo.
»Wie dem auch sei, Sir, Fakten sind Fakten. Auch das ist ein Fakt.«
»Sehen wir uns die Sache selbst an, einverstanden?«, wandte sich Oramen an Neguste und Droffo. »Morgen. Wir brechen mit einem Schmalspurwagen auf oder nehmen die Seilbahn
oder was auch immer und werfen einen Blick unter den großen, geisterhaften, unheimlichen Platz. Ja? Morgen? Abgemacht.«
»Nun …« Droffo sah noch einmal zum Himmel hoch. »Wenn es unbedingt sein muss, Prinz. Allerdings …«
»Bitte um Verzeihung, Sir«, warf Neguste ein und nickte hinter Oramen. »Das Gebäude fällt bereits.«
»Was?«, fragte Oramen und drehte sich um.
Die große »Klinge« des Gebäudes fiel tatsächlich. Sie drehte sich, neigte sich dabei ihnen ein wenig entgegen. Erst war die Bewegung langsam, und die Kante des oberen Bereichs schnitt durch die Wolken aus Gischt und Sprühwasser, die daraufhin so über die Seiten des Gebäudes glitten, als wollten sie es festhalten. Es kippte diagonal vom Platz und dem Wasserfall dahinter fort, wurde schneller und drehte sich noch etwas mehr, wie ein Mann, der auf sein Gesicht zu fallen begann, sich zur Seite wandte und die Schulter nach vorn schob. Eine lange Kante kam nach unten und prallte auf die Sandbänke, wie ein Messer, dass durch einen von Kindern am Strand gebauten Damm schnitt, und der Rest des Gebäudes folgte unmittelbar darauf. Die einzelnen Bestandteile brachen auseinander, als das ganze große Bauwerk in die Wellen stürzte
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