Die Sphaeren
nächsten elektrischen Lichtquelle zu gehen und so lange hineinzusehen, bis sie erblinden. Oder sie strecken die Hand aus, berühren den Funken und sterben zuckend inmitten von Flammen und Rauch.«
Oramen hatte das alles gehört. Vielleicht, so dachte er, hatte er der Liste selbst ein seltsames Ereignis hinzugefügt.
Erst vor zehn Stunden hatte ihn ein seltsames, beharrliches Geräusch aus tiefem Schlaf geweckt. Er hatte die Abdeckung der Kerzenlampe gehoben und sich im helleren Licht nach dem Ursprung des Geräuschs umgesehen, das ihm sehr sonderbar erschienen war, wie das Zwitschern eines metallischen Vogels.
Er bemerkte ein blinkendes grünes Licht, nicht im Schlafabteil des Waggons, sondern jenseits der offenen Tür im Arbeits- und Empfangszimmer. Xessice – die junge Frau, die ihm oft das Bett wärmte, seit er in der Siedlung war – bewegte sich, erwachte aber nicht. Oramen schlüpfte aus dem Bett, streifte einen Morgenmantel über und holte die Pistole unter
dem Kopfkissen hervor. Licht und Geräusch kamen von einem kunstvoll verzierten Weltmodell auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Es war eins der wenigen Schmuckstücke, die Oramen vom Erzpontifex übernommen hatte. Er hatte die prachtvolle Verarbeitung bewundert und sich nicht fähig gefühlt, das Objekt wegzuwerfen, obwohl er vermutete, dass es sich in gewisser Weise um ein ausländisches religiöses Artefakt handelte und deshalb nicht geeignet war, in den Besitz eines den WeltGott respektierenden Sarl überzugehen.
Das metallisch klingende Gezwitscher kam von diesem Gegenstand, und in seinem Innern blinkte ein grünes Licht. Außerdem hatte er seine Form verändert: Die halb offenen Segmente der einzelnen Ebenen hatten sich aufgerichtet, wodurch eine Art stachelige Kugel entstand, und das grüne Licht pulsierte in ihrer Mitte. Oramen ließ den Blick durchs Arbeitszimmer wandern – der grüne Schein genügte als Lichtquelle -, schloss dann die Tür des Schlafabteils und nahm am Schreibtisch Platz. Er überlegte, ob er das Objekt mit dem Lauf der Pistole anstoßen sollte, als das Blinken aufhörte und einem Ring aus sich langsam verändernden Farben wich – es schien eine Art Schirm zu sein. Oramen hatte sich zurückgelehnt, als es zu der Veränderung gekommen war. Jetzt beugte er sich wieder vor, und eine weiche, androgyne Stimme erklang.
»Hallo? Mit wem spreche ich? Sind Sie Sarl, ja? Prinz Oramen, soweit ich weiß, stimmt das?«
»Wer spricht da?«, fragte Oramen. »Wer will das wissen?«
»Ein Freund. Genauer gesagt: jemand, der ein Freund sein möchte, wenn man es ihm gestattet.«
»Ich habe viele sogenannte Freunde kennengelernt. Nicht alle waren das, was sie zu sein schienen.«
»Bei wem ist das schon der Fall? Wir alle unterliegen Irrtümern. Es gibt so viele Barrieren um uns herum. Wir sind zu weit getrennt. Ich versuche, einige dieser Barrieren zu entfernen.«
»Wenn Sie mein Freund sein möchten, würde es vielleicht helfen, Ihren Namen zu wissen. So wie Ihre Stimme klingt, bin ich nicht einmal sicher, ob Sie ein Mann sind.«
»Nennen Sie mich Freund. Meine Identität ist kompliziert und würde Sie nur verwirren. Sie sind der Oramen genannte Prinz der Sarl, nicht wahr?«
»Nennen Sie mich Zuhörer«, sagte Oramen. »Titel, Namen … Sie können irreführend sein, wie wir offenbar beide glauben.«
»Ich verstehe. Nun, Zuhörer, ich bringe meine guten Wünsche und höchstes Wohlwollen Ihnen gegenüber zum Ausdruck, in der Hoffnung auf Verständnis und gegenseitiges Interesse. Bitte akzeptieren Sie dies.«
Kurze Stille folgte. »Danke«, sagte Oramen schließlich. »Ich weiß Ihre guten Wünsche zu schätzen.«
»Da wir das jetzt geklärt haben, unser Anker gewissermaßen gesetzt ist … Ich möchte mit Ihnen reden und Sie warnen.«
»Möchten Sie das?«
»Ja. Vorsicht ist angeraten bei den Aktivitäten, mit denen Sie sich beschäftigen.«
»Bei den Aktivitäten?«, wiederholte Oramen und sah mit gerunzelter Stirn auf den kleinen, glühenden Schirm. Die Farben blieben die ganze Zeit über in Bewegung und wechselten ständig.
»Ja, Ihre Ausgrabungen in der großen Stadt. Dabei müssen Sie Vorsicht walten lassen. Wir bitten in aller Bescheidenheit darum, Sie dabei beraten zu dürfen. Nicht alles, das für Sie verborgen ist, liegt auch für uns im Verborgenen.«
»Ich glaube, hier ist zu viel verborgen. Wer sind Sie? Wen meinen Sie mit ›uns‹? Wenn Sie mir helfen wollen, so beginnen Sie damit, dass Sie mir sagen, wer Sie
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