Die Sphaeren
das schmerzte ein wenig -, bückte sich dann, nahm Negustes von vergossenen Tränen feucht gewordene Hand, zog ihn auf die Beine und lächelte. Inzwischen hatte Negustes Gesicht wieder Farbe bekommen: Es war vom Weinen gerötet, und die Augen wirkten bereits verquollen. Neguste wischte sich die Nase am Ärmel ab und schniefte hingebungsvoll. Als er blinzelte, lösten sich kleine Tropfen von seinen Lidern.
»Beruhig dich, Neguste«, sagte Oramen und klopfte ihm sanft auf die Schulter. »Du bist mein Schild, und auch mein Gewissen. Diese zu spät erkannte Verschwörung hat mich vergiftet. Ich leide an einem Fieber des Verdachts, das jedes Gesicht in meiner Nähe niederträchtig erscheinen lässt, und jede Hand gegen mich gerichtet, auch jene, die helfen wollen.
Aber hier, nimm meine. Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe dir Unrecht getan; sieh darin deinen Teil meiner Verletzungen. Wir infizieren jene, die uns nahe sind und Anteil nehmen, obwohl wir ihnen nicht schaden wollen.«
Neguste schluckte und schniefte erneut, wischte seine Hand dann an der Hose ab und ergriff Oramens dargebotene Hand.
»Sir, ich schwöre …«
»Schon gut, Neguste«, unterbrach ihn Oramen. »Du brauchst nicht mehr zu sagen. Verwöhne mich mit deinem Schweigen. Glaub mir, ich sehne mich danach.« Er straffte seine Schultern ein wenig, obwohl die Knochen dagegen protestierten, und biss die Zähne zusammen. »Und jetzt sag mir … Wie sehe ich aus?«
Neguste schniefte einmal mehr, und ein kleines Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Sehr gut, Sir. Sehr adrett, würde ich sagen.«
»Dann komm. Ich muss mein armes Gesicht den Leuten zeigen.«
Auch Vollird war durch den Stollen gegangen, mit schussbereitem Karabiner, hatte es sich dann aber anders überlegt und den Tunnel verlassen. Er erschoss jemanden, der versuchte, ihn aufzuhalten, floh dann in die dunkle Landschaft unter dem Platz und zwang den Sprengmeister, ihn zu begleiten. Vielleicht schloss sich ihm der Mann auch freiwillig an – es gab verschiedene Berichte. Jedenfalls fand man ihn kurze Zeit später, ebenfalls erschossen.
Nur einige wenige Männer überlebten die Explosion und das anschließende Feuer im Bereich vor und unter dem Stollen,
der teilweise einstürzte. Die Arbeiten am schwarzen Würfel – der gnädigerweise unbeschädigt blieb – wurden um Tage zurückgeworfen, und Poatas schien das allein für Oramens Schuld zu halten.
Oramens Auftritt erfolgte im größten zur Verfügung stehenden Zelt, und er rief alle zu sich, die ihm einfielen. Poatas war zugegen, gereizt und verärgert, weil er den Ausgrabungen fernbleiben und wie die anderen zuhören musste, aber er hielt es offenbar für unklug, sich der Autorität eines Prinzen zu widersetzen, der gerade einem Mordanschlag entgangen war.
»Ich will keine Vorwürfe gegen tyl Loesp erheben«, wandte sich Oramen an die Versammelten und kam damit zum Ende seiner Ansprache. »Ich klage jene an, auf die er hört und die glauben, seine Interessen zu vertreten. Wenn Mertis tyl Loesp Schuld auf sich geladen hat, so nur die, nicht jene durchschaut zu haben, die weniger ehrenhaft sind als er, denen es nicht um das Gesetz und unser aller Wohl geht. Man hat mir auf gemeinste Weise nach dem Leben getrachtet, und ich musste nicht einen, sondern drei Männer töten, um meine eigene Existenz zu schützen. Ich hatte das Glück, oder vielleicht den göttlichen Segen, dem Schicksal zu entkommen, das sich die Schurken für mich wünschten, doch viele Person in meiner Nähe haben an meiner statt gelitten, obwohl sie keine Schuld trifft.«
Oramen legte eine Pause ein und senkte den Blick. Er atmete zweimal tief durch und biss sich auf die Lippe, bevor er wieder aufsah. Sollten die Anwesenden es ruhig für ein Zeichen halten, dass er den Tränen nahe war. »Vor nicht allzu
langer Zeit verlor ich meinen besten Freund im Sonnenschein eines Tavernenhofs in Pourl. Die hiesige Gemeinschaft hat vor kaum vier Tagen fünfzig gute Männer in der Dunkelheit einer Grube unter dem Platz verloren. Ich bitte ihre Geister und Angehörigen um Verzeihung dafür, dass ich nicht den Hass jener gesehen habe, die mir mein Leben nehmen wollen.«
Oramen hob die Stimme. Er fühlte sich müde und wund, und in seinen Ohren klingelte es nach wie vor, aber er war entschlossen, sich davon nichts anmerken zu lassen. »Ich kann nur hoffen, dass sie mir vergeben, und ihnen dafür den Schwur anbieten, dass ich von jetzt an Wachsamkeit walten lasse und nicht
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