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Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Titel: Die Spieluhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tukur
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oben unter den Sternen, der still und einsam seine elliptische Bahn zog?
    Es mochte ein Satellit sein oder ein vorbeiziehender Komet, ich wußte es nicht.
    Aber auf einmal schien mir, als wäre Jean-Luc dieser leuchtende Himmelskörper. Angestrahlt von einer fernen, unwirklichen Sonne, flog er in die schwarze Tiefe des Weltalls, um irgendwo dort draußen zu verglimmen.
    Da begriff ich, daß er verloren war.
    Nach einer Weile drehte er mir den Kopf zu und sah mich lange an. Es war ein unendlich trauriger Blick. Plötzlich aber legte sich ein Lächeln um seinen Mund, er richtete sich auf, umfaßte die Knie mit den Armen und nahm den Faden seiner Erzählung wieder auf.
    »DER SAAL, IN DEN ICH nun eintrat, war angefüllt mit Möbeln, die vermutlich einmal in den oberen Räumen des Schlosses gestanden hatten und deren Decken nun undicht waren und das Regenwasser einließen.
    Im Licht der Kerzen zeigte sich ein wildes Durcheinander übereinandergestapelter Tische, Kommoden, Schränke, Spiegel, auseinandergenommener Betten, Sofas, Récamièren, am Boden abgestellter Gemälde, Vasen und vertrockneter Zimmerpflanzen. Einige der wurmstichigen Tischchen mit ihren geschwungenen Beinen waren unter dem Gewicht schwerer Marmorplatten zusammengebrochen und lagen zersplittert am Boden.
    Als ich mich umwandte, um wieder hinauszugehen, stieß ich so heftig an eine Frisierkommode, daß die auf ihr abgestellten Kisten und Kästchen eine nach der anderen herabstürzten und die Gipsbüste eines längst dahingegangenen Montrague mit sich zu Boden rissen, wo sie polternd zerbrach …
    ›Herein, herein, wenn’s kein Schneider ist!‹
    Die Stimme klang laut und kräftig.
    Zwischen zwei Bücherregalen war in der Tiefe des Saales eine Türe aufgegangen, in deren Rahmen ein Mann stand, dem ein unruhiges Hinterlicht schattenhafte Kontur gab.
    Er brach in ein dröhnendes Gelächter aus, als wäre die mir unverständliche Aufforderung das Komischste, was je über eines Menschen Lippen gekommen war, dann verschluckte er sich und fing an heftig zu husten.
    ›Kommen Sie, mein lieber Freund, nur keine Angst!‹ sagte er, als er sich wieder beruhigt hatte. ›Mein Herr Papa hat mich bereits vom freudigen Umstand Ihres Besuches unterrichtet. Was also tun Sie hier, woher kommen Sie, und schließlich, wer sind Sie, ja, wer sind Sie nur? – Als ob irgendwer wüßte, wer er ist, nicht wahr …?!‹
    Wieder lachte er ein wenig zu laut, dann trat er auf mich zu, nahm mir den Kerzenleuchter aus der Hand, hakte mich freundschaftlich unter und führte mich wie einen alten Bekannten in den Saal, aus dem er gekommen war.
    Er war beleibt, von undefinierbarem Alter, trug einen orientalischen Hausmantel, unter dem perlenbestickte Schuhe hervorschauten, deren Spitzen leicht nach oben gebogen waren. Sein Gesicht war breit und aufgeschwemmt wie das eines Trinkers, die Nase platt und gerötet, und in den kleinen Augen blitzten Schalk und Bosheit in abgründiger Paarung. Die dichten Haare waren kurz geschnitten, mit einer fettglänzenden Paste gezähmt und streng nach hinten gekämmt, im linken Auge klemmte ein Monokel. Seine Gebärden waren weit ausgreifend, und nichts und niemand würde ihn aufhalten, das merkte man deutlich, hatte er einmal für etwas Feuer gefangen.
    Er stellte den Kerzenleuchter auf ein kleines Tischchen neben eine Kristallkaraffe, deren Inhalt er in ein Glas goß, das er mir nun entgegenhielt.
    ›Ein exorbitanter Tropfen, junger Mann, eine Rarität! Ein Amontillado von 1857. Eine wahre Sinnesfreude, die Ihren Gaumen verzaubern und Sie in die köstlichen Gefilde Andalusiens versetzen wird. Dazu eine Zigarre aus allererster cubanischer Produktion, und ich verspreche Ihnen den Himmel auf Erden! –
    Sie sind Italiener, mein Freund? Sie sehen dem jungen Vialli wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich … Nein, wirklich eine ganz und gar erstaunliche Übereinstimmung! –
    Nun zieren Sie sich nicht, greifen Sie zu, Sie sind mein Gast! …‹
    Kaum hatte ich das Glas genommen, hielt er mir ein Zigarrenkistchen unter die Nase, und ohne meine dankende Ablehnung zu beachten, zeigte er auf zwei Sessel, die zwischen staubigen, verdorrten Zimmerpalmen in einer Ecke standen. Eine Petroleumlampe sorgte für etwas zusätzliches Licht.
    ›Setzen wir uns, mein lieber Freund, welch zauberhafte Überraschung mir Ihr Besuch ist, ich hatte gar nicht mehr damit gerechnet! Sie spielen nicht etwa doch Geige? Nein?‹
    Schwer atmend nahm er Platz, spuckte auf den

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