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Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Titel: Die Spieluhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tukur
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Untermiete wohnen, aber noch nie einen Sous bezahlt haben. Sie feiern rauschende Feste unter dem Dach, als hätte es die Revolution nie gegeben, und verbreiten einen Geruch, der als beklemmend zu umschreiben stark untertrieben ist. Sie müssen zugeben, daß sich das nicht schickt.‹
    Er warf das tote Tier in eine chinesische Vase, die hinter seinem Sessel stand, und lehnte das Gewehr an die Wand.
    ›Nun seien Sie kein stummer Fisch, sprechen Sie zu mir! Klären Sie mich auf, befriedigen Sie meine Neugier, erzählen Sie von der seltsamen Welt, aus der Sie kommen! Besteht es noch, das gute, alte Menschengeschlecht? Oder haben die Gespenster des Unwirklichen es schon verschlungen? Die Geister jenes heraufdämmernden Reiches der Simulation und Künstlichkeit, in dem nur der farbige Abglanz einer aufgegebenen Wirklichkeit, eines vergessenen Ursprungs, die Reproduktion der Reproduktion besteht, und alles Echte, Große und Ursprüngliche im Mistkübel der Gier, der Beliebigkeit und Verblödung landet und der Mensch, ein armseliger Homunkulus, ausgeweidet und entbeint, sich nur mehr rasend und sinnlos im Kreise dreht? …
    Nebenbei bemerkt, haben Sie einen ganz miserablen Schneider, junger Freund, Sie sollten sich unbedingt einen neuen suchen!‹
    Der Schreck, der mir durch den Gewehrschuß in die Glieder gefahren war, hatte meine Aufmerksamkeit für einen Augenblick wiederhergestellt, aber erneut mußte ich nach der schönen Marquise sehen, meine Augen tasteten ihr Gesicht ab, die schmale, wohlgeformte Nase, den schönen Mund, der an die ausgebreiteten Schwingen eines nächtlichen Vogels erinnerte, und plötzlich war mir, als blinzelte sie mit einem Auge …
    ›Oh, ich sehe, Sie sind ganz versunken in das Bildnis unserer lieben Marie-Élisabeth!‹ sagte da Amadé, und seine Stimme hatte einen hämischen Unterton.
    ›Nun, sie war eine sehr anziehende Frau, und Sie sind gewiß nicht der erste, der dies bemerkt. Hören Sie auf mich, und lassen Sie ab von ihr, machen Sie sich nicht unglücklich!
    Gehen Sie zurück in Ihr Zimmer!
    Mit welcher Kraft wollen Sie, der Sie aus dieser fellachischen, dem Geld und Stumpfsinn wahnhaft verfallenen, auf alles Erhabene verzichtenden Welt stammen, mit welcher Kraft also wollen Sie der Macht wahrer Schönheit standhalten? …‹
    Sie lächelte mich an!
    Sie bewegte ihren Arm und nahm ihn von der Tastatur!
    Sie schüttelte ihren Kopf, und ich war nahe daran, vom Stuhl zu sinken.
    Tonlos sagte ich einen Satz, der gewiß nicht zum besten gehörte, was ich in meinem Leben von mir gegeben habe.
    ›Mit der Kraft der Liebe, Monsieur!‹
    Unter höhnischem Gelächter arbeitete sich Amadé aus dem Sessel heraus und schlurfte kichernd und hustend in den hinteren Teil des Saales. Dort blieb er vor einem Regal stehen, das bis zur hohen Decke hinaufreichte, band den seidenen Gürtel auf, der seinen Hausmantel zusammenhielt, die Schöße flogen auseinander als wären sie Flügel, er erhob sich plötzlich in die Luft und flatterte wie ein riesiger Falter hinauf bis unter den konkaven Plafond des Saales, der mit einer Fülle exotischer Pflanzen und Blumen ausgemalt war.
    Für einen Augenblick verharrte er dort bewegungslos, öffnete ein winziges Glastürchen, entnahm ihm einen Gegenstand, schloß es wieder, flog in einem Bogen auf mich zu, schwankte auf einmal, als wäre er in Turbulenzen geraten, und stürzte unmittelbar vor mir hart zu Boden.
    Fluchend drehte er sich vom Rücken auf den Bauch, winkelte die Beine an und arbeitete sich prustend in eine kniende Stellung, aus der er sich schwerfällig erhob.
    Er hatte sich weh getan und verzog schmerzhaft das Gesicht.
    Dann schlug er, wütend über seine Ungeschicklichkeit, den Staub aus seinem Mantel und ließ sich wieder in den Sessel fallen.
    Er war völlig außer Atem.
    Ich hatte dem Ganzen fassungslos zugeschaut, war aber sogleich gefangengenommen von einer kleinen Spieldose, die er nun sichtlich stolz und mit großer Vorsicht auf das Tischchen stellte. Sie war diesselbe, die die Marquise auf dem Gemälde in ihrer rechten Hand hielt. Die Figur auf ihrer Oberfläche war eine Ballerina in einem roten Kleidchen, sie hatte das rechte Bein leicht abgespreizt und die Ärmchen anmutig in die Hüften gedrückt.
    AMADÉ VERSCHRÄNKTE seine Hände mit den überraschend schmutzigen Fingernägeln vor dem Bauch und sah mich herausfordernd und mit glühenden Augen an.
    Ich wollte schon ein Wort der Verteidigung oder wenigstens der Erklärung von mir geben,

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