Die Spinne (German Edition)
Stachel im Fleisch des chinesischen Geheimdienstes war? Für eine Frau, die unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen war? Wie hatte er nur annehmen können, dass ihm der Alte Glauben schenken würde!
Mit einem lauten Seufzen zog Sun Bingjun einen Stuhl heraus und ließ sich vor der letzten Seite des Briefs nieder. Doch statt zu lesen, musterte er Zhu. »So sieht es aus. Sie befinden sich in einer unhaltbaren Lage, Xin Zhu. Wu Liang könnte den Spieß mühelos umkehren und Ihnen alles ins Gesicht schleudern, was Sie ihm vorhalten. Alle Anschuldigungen beruhen auf einer Geschichte, daher sollten Sie zumindest alle Einzelheiten auswendig lernen, bevor Sie mit irgendjemandem reden.« Er lachte knurrend auf. »Warum erzähle ich Ihnen das? Sie sind doch Xin Zhu, der Meister des Geschichtenerfindens. Mit dieser Methode haben Sie die Amerikaner in eine wunderbare Falle gelockt. Doch in diese Geschichte hier sind Sie völlig unvorbereitet hineingetappt. Wer hat den Mord in der Küche begangen? Wo sind die Akten, von denen Bo Gaoli redet und die beweisen sollen, dass Wu Liang seit zwanzig Jahren ein Informant der CIA ist? Ich hoffe wirklich sehr, dass es sich nicht bloß wieder um eine Sammlung von E-Mails handelt wie neulich. Und woher soll ich wissen, dass dieser Brief tatsächlich von Bo Gaolis Hand stammt?«
Sun Bingjun hatte recht. Er hatte überstürzt gehandelt. Doch angesichts einer Leiche und eines urinfleckigen Briefs war es auch nicht mehr so, dass die Zeit für ihn arbeitete. »Ich war voreilig«, bekannte er.
»Dabei haben Sie sowieso schon so viele Scherereien am Hals. Was konnten Sie über den großen Rachefeldzug der Amerikaner in Erfahrung bringen?«
»Wir überwachen noch immer Alan Drummonds Zimmer.«
»Schluss damit, Xin Zhu. Dieser Mann müsste schon längst tot sein. Wenn Sie noch länger abwarten, machen Sie sich verdächtig, sein Helfer zu sein.«
»Wenn ich ihn töte, ändern die Amerikaner nur ihre Pläne.«
»Sie kennen diese Pläne doch ohnehin nicht, Xin Zhu. Es spielt also keine Rolle, wenn sie sich ändern.«
Unwillkürlich rieb sich Zhu über die Wange, dann erzählte er Sun Bingjun von Liu Xiuxius Bericht über Stuart Jackson und die vom Ehrgeiz zerfressene Ehefrau des Maulwurfs.
»Nichts weiter als Gerüchte.« Trotz seiner kategorischen Äußerung machte der Alte allerdings einen bestürzten Eindruck. »Ausgezeichnete Gerüchte, aber trotzdem bloß Gerüchte.«
»Und ich habe noch ein Eisen im Feuer«, fügte Zhu hinzu. »Milo Weaver. Er arbeitet mit ihnen zusammen, aber ich habe ihn unter Kontrolle.«
»Das haben Sie dem Ausschuss nicht gemeldet.«
»Angesichts der Hinweise, die wir inzwischen bekommen haben, bin ich überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.«
Sun Bingjun schien kurz aus dem Konzept zu geraten. Dann fragte er: »Haben Sie auch Informationen über den Mord an Jewgeni Primakow zurückgehalten? Haben Sie ihn liquidiert?«
»Nein.«
»Wer dann?«
»Das weiß ich nicht.«
Sun Bingjun zog die Augenbraue hoch, vielleicht um seine Skepsis zu signalisieren. »Machen Sie sich keine Sorgen wegen Hua Yuan. Mein Chauffeur ist zum Glück loyal, und er wird sich hüten, etwas verlauten zu lassen. Ich rede mit den Wachen des Jade-Areals, um rauszufinden, ob es heute Morgen noch andere Besucher gab.«
»Das ist wirklich großzügig von Ihnen.«
Nachdenklich spitzte Sun Bingjun die Lippen, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, es ist pragmatisch, Xin Zhu. Ich gehe davon aus, dass Sie sich hier keinen ausgeklügelten Schwindel zurechtgelegt haben, um sich zu schützen. Und in diesem Fall ist Wu Liang tatsächlich gefährlich und muss entlarvt werden. Wenn Sie mithelfen, die Anschuldigungen gegen ihn stichhaltig zu machen, wird mein Stern kurz vor dem Ruhestand noch mal aufsteigen, aber wenn es schiefgeht, trete ich gedemütigt ab. Aus diesem Grund kann ich die Sache nicht Ihnen überlassen. Sehen Sie sich doch bloß an. Offenbar haben Sie in letzter Zeit zu wenig Schlaf bekommen, und das liegt bestimmt nicht nur an Ihrer jungen Frau. Sie versuchen, einen Maulwurf aufzuspüren, und gleichzeitig müssen sie sich gegen eine amerikanische Vergeltungsaktion stemmen. Das übersteigt einfach die Kräfte eines Einzelnen.«
»Wie auch immer«, erklärte Zhu, »jedenfalls bin ich dankbar für Ihre Hilfe.«
»Dann wollen wir aber auch dafür sorgen, dass ich meine Entscheidung nicht eines Tages bereuen muss. Morgen haben Sie Gelegenheit, diese ganze
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