Die Spinne (German Edition)
Liang eine gewisse Ratlosigkeit nicht verhehlen. Auch Yang Qing-Nian machte einen verlegenen Eindruck. Schließlich meldete sich Zhang Guo zu Wort. »Können wir da jemanden zurate ziehen? Jemanden bei den Amerikanern?«
»Das Zweite Büro hat ein paar Quellen bei der CIA «, antwortete Feng Yi, »aber ihr Rang ist zu niedrig, um davon zu wissen. Wu Liang?«
Wu Liang setzte die Teetasse ab. »Möglicherweise. Ich habe einen Informanten, der unter Umständen mehr herausfinden könnte.« Er holte tief Luft. »Doch letztlich ist das wohl eher eine Sache für Xin Zhu.«
Endlich sahen sie ihn an. Er kaute an der Innenseite seiner Wange. Bis vor Kurzem hatte er in der Tat eine wunderbare Quelle gehabt: James Pearson, einen Berater von Senator Nathan Irwin. Aber das war Vergangenheit. »Ich werde mich erkundigen.« Zhu verneigte sich. »Ich danke dem Ausschuss, dass er mich auf diesen beunruhigenden Sachverhalt aufmerksam gemacht hat. Ich werde alles daransetzen, die Angelegenheit zur allgemeinen Zufriedenheit aufzuklären.«
»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Wu Liang. »Allerdings hoffe ich auch, dass Sie Ihre Informationen an alle Mitglieder des Ausschusses weitergeben. Und damit wären wir beim zweiten Punkt der heutigen Tagesordnung.«
Yang Qing-Nian bewegte sich auf seinem Stuhl und traf Anstalten, das Wort zu ergreifen, doch Wu Liang warf ihm einen kurzen Blick zu. Den ersten Angriff hatte der junge Mann bereits versiebt; den zweiten wollte sein Vorgesetzter nun lieber selbst vortragen.
»Ich glaube«, begann Wu Liang schließlich, »allen Anwesenden ist Xin Zhus Mitteilung vom 15. April bekannt, von der ich hier eine Kopie in Händen halte.« Er wedelte mit einem Blatt Papier. »Darin hat er seine Absicht angekündigt, aus seinem Büro keine Informationen mehr an das Ministerium für Öffentliche Sicherheit weiterzuleiten, weil im Ministerium die Geheimhaltung nicht gewährleistet sei. Natürlich forderte der Aus schuss – der gesamte Ausschuss – weitere Erklärungen. Daraufhin erhielt der Ausschuss am Freitag, den 18. April eine zwölfseitige Aufstellung von Einzelinformationen, die, so hieß es, aus den Akten der Abteilung Tourismus stammten. Anhand der Auswertung dieser Informationen gelangte Xin Zhu, wie er uns eröffnete, zu dem zwingenden Schluss, dass die Abteilung Tourismus eine hochrangige Quelle im Ministerium für Öffentliche Sicherheit unterhält. Daher wird er seine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse so lange zurückhalten, bis das Leck gestopft ist.«
Alle Augen hingen an Wu Liang, der nach einer Pause fortfuhr. »Ich bekenne, dass ich nach Erhalt der ursprünglichen Mitteilung skeptisch war. Xin Zhu und ich hatten im Haus der sozialistischen Philosophie schon oft verschiedene Positionen eingenommen. Ich wertete seine Nachricht als weiteren Beweis für seine Paranoia. Doch als ich den zwölfseitigen Bericht durchsah, wurde ich unsicher. Wie Sie alle wissen, liegt mir das Ministerium sehr am Herzen, und die geballte Wucht der von Xin Zhu zusammengetragenen Fakten hat mich zutiefst erschüttert. Ein ganzes Wochenende lang führte ich äußerst schwierige Gespräche mit Genossen aus dem Ministerium, und einigen davon begegnete ich sogar mit Misstrauen. Wir stellten Nachforschungen an. Ich gebe es nur ungern zu, aber ich war in Panik. Und wenn Xin Zhu doch recht hatte und Informationen von uns zu den Amerikanern durchsickern? Ein Fiasko!«
Zhu schloss die Augen, um besser zuhören zu können. Er spürte bereits, in welche Richtung die Argumentation ging, hörte es in Wu Liangs übertriebener Unschuld und Ergriffenheit. Schicht um Schicht errichtete Wu Liang einen riesigen Turm, nur um ihn umso effektvoller niederreißen zu können.
»Am Montag vor vier Wochen hatte ich eine Liste von Verdächtigen. Neunzehn Namen. Meine Sorge war so groß, dass einen praktisch alles auf diese Liste bringen konnte. Yang Qing-Nian und ich begannen mit intensiveren Befragungen. Vorher hatten wir die Verdächtigen zu Hause abgeholt und jeweils in eine Einzelzelle an der East Chang’an Avenue geschafft. Zu diesem Zeitpunkt gab es keinen Grund, sie als Gefangene zu behandeln. Sie konnten ihre Kleider behalten, bekamen normales Essen und wurden gut behandelt. Nur ihre Telefone wurden beschlagnahmt.
Aber die Vernehmungen liefen nicht erfolgreich. Am Mittwoch hatten wir mit jedem zweimal gesprochen, ohne irgendein Ergebnis. Daher beschloss ich, Xin Zhu in seinem Büro in Haidian aufzusuchen und ihm das Wenige
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