Die Spinne (German Edition)
nicht jemand ein Mikrofon zwischen die Polster geschmuggelt hatte. Das wird allmählich lächerlich , dachte Zhu.
Die erste Barriere vor ihren Büros war eine unscheinbare Tür, hinter der eine alte Frau, die wie eine Toilettenfrau aussah, an einem Klapptisch rauchte. Vor ihr lagen eine Zeitung mit weiteren Sichuan-Schlagzeilen und ein offenes Sudoku-Rätselheft, doch unter dem Tisch befanden sich eine Sprechanlage, ein Handy und eine 77B-Pistole, die mit neun Hohlspitzpatronen geladen war. Es war nicht einfach gewesen, diese Waffe aufzutreiben, da sie nur für den Export hergestellt wurde. Seine offiziellen Bestellungen hatten kein Gehör gefunden, doch letztlich war He Qiang in Südkorea fündig geworden. Die Alte drückte ihre Zigarette aus und lächelte mit unfreiwillig zwinkernden Augen. Sie griff nach der Sprechanlage. »Sieben und Achtundachtzig hier.«
Von innen schlossen zwei Wachen die nächste Tür auf, die aus schwerem Stahl gefertigt war und zur Tarnung einen rostig wirkenden Anstrich hatte. In dem Raum dahinter standen ein Röntgenapparat und ein Metalldetektor, um die Zhu und Shen An-ling einen Bogen machten. Schließlich öffnete ein weiterer Wachmann die letzte Tür, die sie in ein langes, halb unter der Erde befindliches Büro mit Schreibtischen und Computern führte, von denen sich wie Rettungsleinen die Ethernetkabel in schmalen Säulen zur abgehängten Holzdecke hinaufwanden. An den Schreibtischen saßen die sechsundzwanzig Sachbearbeiter seiner Abteilung und sichteten die Nachrichtenmeldungen des Tages, Agentenberichte und abgehörte Mitteilungen aus dem Vierten und Siebten Büro. Zhus Abteilung, die offiziell den Namen Transportagentur (und inoffiziell die Bezeichnung Zhus Höhle) trug, war ein Außenposten des Sechsten Büros, der seinen Aufgabenbereich immer mehr ausgebaut hatte, bis er sich mit den Tätigkeitsfeldern von mindestens vier Guoanbu-Büros überschnitt. Wie das Zweite rekrutierte seine Abteilung ausländische Agenten und entwickelte Beziehungen zu bestimmten ausländischen Nachrichtendiensten; wie das Siebte erstellte sie auf der Grundlage gewonnener Erkenntnisse Politikberichte. Und als Teil des Sechsten Büros behielt sie außerdem ausländische Aktivitäten im Auge, die darauf zielten, die Stabilität der Volksrepublik zu untergraben.
Diese Ausdehnung hatte sich allmählich und bewusst leise vollzogen, und als sie 2002 – von keinem anderen als Wu Liang – bemerkt wurde, hatte Zhu bereits so viele wesentliche Berichte erstellt, dass er nicht mehr entbehrlich war. Das war nicht Wu Liangs erster Versuch gewesen, Zhus zunehmenden Einfluss mithilfe des Aufsichts- und Überwachungsausschusses einzudämmen, doch er hatte die größte Brisanz, weil Mitglieder aller Guoanbu-Büros hineingezogen wurden in einen Konflikt, der erst beigelegt werden konnte, als der Leiter des Zentralkomitees für Politik und Recht persönlich eingriff und beiden Kontrahenten mit einem offiziellen Tadel drohte.
Seit 2002 hatte Zhu die Zahl seiner Stabsmitarbeiter verdoppelt und die der Agenten verdreifacht. Bis zum Massaker an den Touristen hatte er sich für nahezu unbezwingbar gehalten.
»Wir sind tot«, sagte Shen An-ling, als sie endlich die Tür von Zhus Büro am Ende des Gangs hinter sich schlossen. »Wu Liang hat diesen Schlag lange vorbereitet.«
»Noch ist nichts entschieden.« Zhu zündete sich einen Hamlet an und ließ sich an seinem Schreibtisch nieder.
Das stimmte. Sun Bingjun hatte sich geweigert, sich auf ein Vorgehen festzulegen, und Feng Yi hatte ihm zugestimmt. Zhang Guo hatte enttäuschenderweise während der gesamten Diskussion eine neutrale Haltung bewahrt, vielleicht in dem Bemühen, sich als entscheidende Stimme für das Votum zu positionieren, oder einfach, um seine Beziehung zu Zhu zu verschleiern. So entstand in diesem Mikrokosmos von fünf Ausschussmitgliedern eine vollkommene Balance der Unentschiedenheit, was Feng Yi zu der Anregung veranlasste, Zhu etwas Zeit zu lassen, damit er zu den Vorwürfen Stellung nehmen konnte.
»Fünf Tage«, hatte Wu Liang sofort vorgeschlagen.
Daraufhin hatte Sun Bingjun gelacht und einmal mehr bewiesen, dass die Gerüchte über seinen alkoholbedingten Niedergang stark übertrieben waren. »Eine kleine Chance sollten wir Xin Zhu schon geben.«
»Wir haben nur zwei Wochen.« Shen An-ling ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Zwei Wochen, in denen wir uns abstrampeln können. Wir haben unseren besten amerikanischen Informanten verloren,
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