Die Spinne - Niederrhein-Krimi
nehmen.
»Schreib! Ich halte das mit Alfons nicht mehr aus. Er hat Schuld auf sich geladen, ich schäme mich so. Ich stürze mich in den Tod.«
»Warum soll ich das schreiben? Erklär mir …«
»Du willst wissen, was geschehen ist? Los, schreib schon, fang an.« Er griff ihr in den Nacken wie einem Tier, das man bändigen will.
»Du tust mir weh.«
»Das ist noch gar nichts. Meiner Schwester hat er so wehgetan, dass sie es nicht aushalten konnte. Lange hat sie dagegen angekämpft. Sie hat immer Angst gehabt, Angst vor Berührungen, vor Begegnungen, Beziehungen. Dein Mann war einer von vier Vergewaltigern, die an einem einzigen Abend ihr Leben zerstört haben.«
»Was? Aber … ich kann doch nichts dafür. Ich habe doch von allem nichts gewusst. Lass mich los.«
»Schreib!«
Er drückte ihren Kopf in Richtung Tisch. Zittrig begann sie, die vorgegebenen Worte zu schreiben.
»Erst hat sie den Schmerz gebraucht, sich immer wieder in die Arme und Beine geritzt. Sie fing etwas an und brach es wieder ab, kein Schulabschluss, keine Ausbildung, kein fester Job. Regelmäßig und absehbar waren nur die vielen Einweisungen in die Psychiatrie. Irgendwann hat sie entdeckt, dass sie mit ihrem Körper Geld verdienen kann, und hat in einem Puff gearbeitet, einen Freier nach dem anderen bedient. Meine Schwester hat Antidepressiva geschluckt und sich prostituiert. Meine andere Hälfte, meine Zwillingsschwester, meine Seelenverwandte ging vor die Hunde, und ich konnte nur hilflos zuschauen.«
Louise hatte den Brief geschrieben, wie der Mann ihn diktiert hatte.
»Dann, als sie von ihrem Leben erdrückt wurde, hat sie sich an einem sonnigen Nachmittag im Weseler Bahnhof vor einen Zug geworfen. Man hat sie stückweise von den Gleisen gesammelt. Sie muss so furchtbar ausgesehen haben, dass selbst ein Thanatologe sie nicht mehr herrichten konnte. Ich habe mich von einem geschlossenen Sarg verabschiedet. Danach wusste ich, dass jeder, der an ihrem Schicksal Schuld hatte, genauso leiden sollte wie ich. Ich würde jedem das Liebste nehmen, sie sollten abstürzen und untergehen. Genau wie ich.«
Er zog an ihrem Haar und bog Louises Kopf nach hinten. Von oben blickte er ihr ins Gesicht. »Und ab heute leidet Alfons Verfürth. Los, beweg dich, sonst endet es gleich hier für dich.«
Wie in Trance stand Louise auf und ließ sich von der Hand in ihrem Haar führen.
* * *
Von Aha drosselte das Tempo, um die Zufahrt zum rückwärtigen Parkplatz ohne Gegenlenken zu nehmen, es standen nur einige wenige Fahrzeuge dort unter dichten Schneehauben. Er ließ den Wagen ausrollen wie ein Gast, der nach langer Strecke glücklich am Ziel angekommen ist. Als er ausstieg, zeigte er keinerlei Hektik, seine Bewegungen waren gezielt und zügig, wie wenn er endlich ins Trockene und Warme gelangen wollte. Von Aha wusste, wie er am unbekannten Tatort auftreten musste, ohne die Hotelangestellten nervös zu machen oder gar den Sicherheitsdienst auf den Plan zu rufen.
Wie ein normaler Gast bewegte er sich durch die Drehtür, orientierte sich in der Lobby und steuerte nach links zur Rezeption. Er lächelte die Angestellte freundlich an. »Wo finde ich Frau Louise Verfürth?«
»Zimmer 213 im zweiten Stock.«
Die Dame vom Empfang hatte Erfahrung, hier sollte ein Paar zusammenfinden. Leicht zerzaust wirkte der Lover, hätte sich optisch etwas anstrengen können. Na ja, der Stress auf der Straße, da konnte man schon aus der Form gehen.
Von Aha schlenderte bemüht locker in den Gang zum Aufzug, außer Sichtweite sprintete er los. Den Schlagstock verbarg seine wattierte Outdoorjacke, in den Taschen ruhten die Kabelbinder.
Tom und Jerry steckten auf dem Hansaring fest, ein Lkw hatte sich quergesetzt und blockierte die Fahrbahn. Jerry lenkte sein Fahrzeug auf den Grünstreifen.
»Per pedes? Das hier kann dauern.«
Sie stiegen aus und stapften über den Ring in Richtung Fischertorstraße, versuchten, sich im leichten Joggertempo fortzubewegen, was sich bei knöchelhohem Schnee mit mittlerweile knietiefen Verwehungen nicht einfach gestaltete. Sie bewegten sich wortlos und zielstrebig. Jerry Patalon verfluchte den Schnee und arbeitete sich bibbernd neben seinem Kollegen vorwärts.
Er schien keine Skrupel zu besitzen, er hielt sie an den Haaren fest und zog sie in Richtung Aufzug. Eingeschüchtert, verängstigt und völlig irritiert, kam es Louise nicht in den Sinn, nach Hilfe zu rufen. Das konnte alles nicht wahr sein. Sie hatte sich auf einen
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