Die Spitze des Eichbergs
Gelsenkirchen.«
27. DER STAATSANWALT GREIFT EIN
Fast zwei Jahre nach dem ominösen Spiel gegen Bielefeld ging es den Schalker Spielern und Verantwortlichen richtig an den Kragen: Im Rahmen ihrer Ermittlungen leitete die Bielefelder Staatsanwaltschaft 18 Verfahren gegen Funktionäre und Aktive des Vereins wegen Meineides ein. Paragraph 154 des Strafgesetzbuches sieht für dieses Delikt »Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr« vor. Sensationelle Enthüllungen machten die Staatsanwälte Kny und Dieckmann in Bielefeld: Danach hätten Schalker Spieler zwischen 130.000 und 150.000 Mark Schwelgegeld an den ehemaligen Ar-minen-Spieler Waldemar Slomiany gezahlt. Dazu Dieckman: »Wir wissen inzwischen, dass es am 9. April 1972 zu einem Treffen der Schalker Spieler kam, erst am Parkplatz am Schloss Berge, dann in der Wohnung eines Spielers. Auf dieser Zusammenkunft legten die Spieler ihre weitere Marschroute fest. Man kam überein, dass jeder 15.000 Mark Schweigegeld an Slomiany zahlen sollte, damit dieser seine Behauptung aufrecht erhielt, er habe die 40.000 Mark selbst behalten. Nicht alle Spieler zahlten wie verabredet, und einige zahlten nicht In voller Höhe. Andere, die das Geld nicht in bar zur Verfügung hatten, haben deshalb Kredite aufgenommen.«
Nun war also eingetroffen, was Eingeweihte vorausgesagt und befürchtet hatten: Schalke drohte die Anklage wegen Meineides. Das, was einst als glänzende Rechtfertigung, gewissermaßen als Alibi gegen alle Behauptungen der Schalker Manipulation, gedacht war, die Schalker Eide vor dem Staatsanwalt, hatte sich nun als Bumerang erwiesen. Bedenklich stimmte der Hinweis, dass durch die Einsichtnahme in die Konten der Spieler Beweise erbracht werden können, dass Schweigegelder nach Bielefeld geflossen sind. Es mehrten sich die einsichtigen Stimmen, die den Schalker Spielern anrieten, sofort die Flucht nach vorn anzutreten und ein umfassendes Geständnis beim DFB-Che-fankläger Hans Kindermann abzulegen. Das sei der einzige Ausweg, um für Spieler und Club noch zu retten, was zu retten ist. Doch die Spieler blieben zunächst uneinsichtig. »Ich bin sofort bereit, die drei Finger noch einmal zu heben, dass ich kein Bestechungsgeld genommen habe. Warum sollte ich da dem Slomiany Schweigegeld zahlen?«, beteuerte Vorstopper Rüssmann.
Nun stand die Vermutung offen im Raum: Schalker Spieler hätten Geld für ein verschobenes Spiel kassiert, später Schweigegeld gezahlt und anschließend einen Meineid geschworen. Die Staatsanwaltschaft schaltete sich ein, den Schalker Verantwortlichen und Spielern ging es nun richtig an den Kragen.
FAST WIE LYNCHJUSTIZ
Nach diesen Enthüllungen hatte Schalke immer noch Fußball zu spielen. Gegen Bochum nahm man alle Kräfte zusammen und schaffte ein wichtiges 2:0. Empört waren die Schalker über die von der Offenbacher Presse entfachte Stimmungsmache gegen Schalke, die einer Aufforderung zur Lynchjustiz gleichkam. Entsprechend vergiftet war die Stimmung auf dem Bieberer Berg beim 2:0-Sieg der Kickers.
Das Heimspiel gegen die Bayern (1:1) brachte endlich mal wieder eine volle Hütte. Das war auch dringend notwendig, denn durch Skandal und sportliche Krise hatte sich ein Schuldenberg von 1,5 Millionen Mark angehäuft. Schalke hatte nun mit sieben Spielen in 21 Tagen ein Non-stop-Programm zu bewältigen, und das, obwohl die Spieler schon auf dem Zahnfleisch gingen. Im Pokal scheiterte man an Mönchengladbach (0:2 und 1:1), in der Bundesliga gab es Pleiten in Serie, nur ein einziger Sieg (gegen Frankfurt) in acht Spielen, Schalke war im Abstiegskampf. Im Viertelfinale des Europapokals wartete Sparta Prag, doch der »Wunschgegner« (Horvat) erwies sich nicht als solcher. In der Glückauf-Kampfbahn beschränkten sich die Tschechen auf ein geordnetes Abwehrspiel, am Ende hieß es 2:1 für Schalke, ein Ergebnis, das alles offen ließ.
DER GNADENSTOSS
Reduziert wurden die Hoffnungen der Schalker durch die Termingestaltung des DFB-Sportgerichts, das Rüssmann, Fichtel und Lütkebohmert ausgerechnet drei Tage vor dem Rückspiel in Prag nach Frankfurt zitierte. Das DFB-Urteil raubte den drei Angeklagten, die immer und immer wieder ihre Unschuld beteuerten, vollends die Nerven. Das Sportgericht entzog ihnen (und dem jetzigen Gladbacher Jürgen Wittkamp) für zwei Jahre die Lizenz, obwohl eigentlich keine Indizien gegen sie aufzutreiben waren. Die Richter werteten die Klage-Rücknahme gegen Neumann als Eingeständnis ihrer Schuld.
Nach dem Urteilsspruch
Weitere Kostenlose Bücher