Die Sprache der Macht
innehaben. Und nicht jedem liegt eine solche Schlussoffensive, zumal man immer auf das angewiesen ist, was zuvor besprochen wurde.
Und so gibt es eine völlig anders geartete Strategie, die dominante Rolle zu übernehmen, nämlich als derjenige, der am häufigsten und am längsten redet. Dabei muss dieser Teilnehmer nicht unbedingt die gesamte Diskussion an sich reißen (und damit zerstören – wir haben es bereits angesprochen). Ein kräftezehrendes „Powerplay“ ist gar nicht erforderlich. Ja, man kann bei dieser Strategie den anderen durchaus Raum für eigene Gedanken und Argumente zugestehen, die man aufgreift, weiterentwickelt, in neue Zusammenhänge stellt – oder auch übergeht. Es geht schlicht und einfach um Redezeit. Wer ausgiebig zu Wort kommt, der muss einfach wichtig sein. Das gilt insbesondere für den Fall, dass er Dinge erzählt, die mit dem eigentlichen Thema gar nichts zu tun haben.
Die „Chefgeschichten“
Berühmtberüchtigt sind die abschweifenden, pointenarmen Geschichten, mit denen der statushöchste Teilnehmer die Geduld aller anderen auf eine harte Probe stellt. Auch wenn man unterstellen darf, dass kein Vorsatz dahinter steckt: Wer in einer Runde von viel beschäftigten Führungskräften ungestraft von einem sehr gewöhnlichen Segelwochenende erzählen darf, der bringt damit zum Ausdruck, wie sehr er die anderen dominiert. Undenkbar übrigens, dass sich ein Teilnehmer diese Strategie erlauben könnte, wenn sich jemand im Raum befindet, der ebenfalls Ambitionen auf die Alphaposition hat. Auch ein Teilnehmer, der eigentlich die Strategie des späten Eingreifens verfolgen wollte, wird hier einschreiten.
Die Regeln des „Turntaking“
Um besser zu verstehen, warum manche ausführlich zu Wort kommen, während die Beiträge von anderen eher knapp gehalten sind, lohnt ein kurzer Abstecher in die Sprachwissenschaft. Dort hat man nämlich näher untersucht, wie es eigentlich kommt, dass in einem Gespräch nicht alle durcheinanderreden, sondern – von kurzzeitigen Überlappungen abgesehen – einer nach dem andern.
Dabei sind die Wissenschaftler auf mehrere Regeln gestoßen, an die wir uns unbewusst halten. Wenn jemand dagegen verstößt, ist uns das unangenehm, womöglich sind wir sogar empört und versuchen denjenigen, der die Regeln verletzt hat, zum Schweigen zu bringen. Bevor wir auf die Regeln zu sprechen kommen, müssen wir noch einen einfachen Fachbegriff aus der US-Linguistik einführen: den „Turn“. Damit ist nichts anderes gemeint, als dass jemand an der Reihe ist zu sprechen. Solange Sie „den Turn haben“, sind Sie es, der redet, und alle anderen hören zu.
Daraus leitet sich unmittelbar ein zweiter Fachbegriff ab, das „Turntaking“: Jemand nimmt sich das Recht, jetzt zu sprechen. Er lässt die anderen wissen, dass er jetzt etwas sagen möchte. Wer im „Turntaking“ unterliegt, der muss erst einmal schweigen. Wer bei einer Besprechung gar nicht zu Wort kommt, der hat vermutlich ein schwer wiegendes Problem mit dem „Turntaking“.
Regel Nummer eins erscheint zunächst banal, hat aber weit reichende Folgen: Wer als erster zu sprechen beginnt, der bekommt den „Turn“, also das Rederecht. In der Praxis kann das dazu führen, dass jemand mit einer nichtssagenden Floskel beginnt oder einem gedehnten „Naja“, um sich erst einmal das Rederecht zu sichern und eine gedankenschwere Pause einzulegen.
Starten zwei Redner gleichzeitig, setzt sich tendenziell derjenige durch, der länger am Ball bleibt. Der „Naja“-Sager wäre also nach kurzer Zeit aus dem Rennen. Auch die Lautstärke spielt eine Rolle: Leise Stimmen gehen eher unter und auch die Tiefe soll einen gewissen Einfluss haben. Der sonore Bürobass kommt eher zum Zuge als der schrille Sopran.
Damit sind wir schon bei der zweiten Regel: Niemand darf den Sprecher unterbrechen – bis nicht jene magische Grenze erreicht ist, die die Sprachwissenschaftler den „übergangsrelevanten Ort“ nennen. Dabei handelt es sich um eine Art von vorläufigem Abschluss. Ich senke meine Stimme und signalisiere Ihnen: Wenn Sie etwas loswerden wollen, dann sprechen Sie jetzt! Nimmt niemand die Gelegenheit wahr, kann ich weiterreden. Dazu brauche ich nicht einmal eine nennenswerte Pause einzuschalten. Sie haben die Bedeutung des „übergangsrelevanten Ortes“ so verinnerlicht, dass Sie sofort übernehmen, ohne dass unser Gespräch ins Stocken gerät. Selbstverständlich kann ich auch weitersprechen.
Sprache der Macht im
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