Die Sprache der Macht
Wer nicht vereinnahmt wird, wer nicht gebraucht wird, der fühlt sich allein gelassen. Insoweit ist uns jedes „Wir“ erst einmal willkommen.
Problematisch wird die Vereinnahmung allerdings, wenn unsere Interessen zu kurz kommen. Ja, mitunter richtet sich das „Wir“ auch gegen unsere Interessen. Wenn wir bei dem eben genannten Beispiel bleiben: Führen die „hochgesteckten Ziele“ in erster Linie zu Arbeitsüberlastung und geringerer Entlohnung, ist kaum anzunehmen, dass sie ein Mitarbeiter ernsthaft will. Er wird sich durch eine solche Vereinnahmung verschaukelt fühlen.
So weit sollte es jemand, der diese Technik einsetzt, nicht kommen lassen. Denn er entzieht sich selbst die Grundlage seiner Macht, wenn er die anderen gegen sich aufbringt. In seinem „Wir“ liegt eine Einladung, gemeinsame Sache zu machen und sich einander verbunden zu fühlen. Bereits darin liegt für die Angesprochenen ein Anreiz, ja, eine Belohnung. Insofern hat unter dem Dach des „Wir“ sehr vieles Platz. Und es ist auch nicht zu beanstanden, dass es eine Seite ist, die die gemeinsamen Ziele vorgibt, sofern es sich nur um Ziele handelt, die tatsächlich im Interesse beider Seiten zu erreichen sind.
Verbundenheit erzeugen
Das „Wir“ wirkt nicht nur in eine Richtung. Es eignet sich daher nicht nur dazu, die anderen auf die eigenen Interessen zu verpflichten. Sie können damit auch zum Ausdruck bringen, dass Sie selbst sich den Interessen der anderen verbunden fühlen und in ihrem Sinne handeln. Nicht unbedingt aus Selbstlosigkeit, sondern einfach weil Sie gemeinsame Interessen haben.
Sie erzeugen Verbundenheit, wenn Sie von „uns“ sprechen und die eigene Person in den Hintergrund rücken. Das „Wir-Gefühl“ ist eines der stabilsten Fundamente von Macht. Aus diesem Grund versuchen es so viele hervorzurufen – mit unterschiedlichem Erfolg. Denn natürlich genügt es nicht, einfach nur von „uns“ und unseren gemeinsamen Interessen zu sprechen. Die Sache muss auch glaubhaft sein.
Barack Obamas „Wir-Botschaften“
Der Wahlsieg von Barack Obama bei der US-Präsidentenwahl 2008 wird auch auf sein überragendes rhetorisches Geschick zurückgeführt. Wie ein roter Faden ziehen sich durch seine Reden die „Wir-Botschaften“: „Wir sind bereit, das Land in eine völlig neue Richtung zu führen.“ / „Wir wissen, dass die bevorstehende Auseinandersetzung sich lange hinziehen wird, aber wir denken immer daran: Ganz egal, welche Hindernisse sich uns in den Weg stellen, nichts kann die Energie bremsen, die von Millionen Stimmen ausgeht, die nach einem Wandel verlangen.“ / „Wenn ich Präsident der Vereinigten Staaten bin, werden wir den Krieg im Irak beenden und unsere Truppen nach Hause holen.“ Und schließlich: „Wir werden uns daran erinnern, dass etwas in Amerika geschieht. Dass wir nicht so gespalten sind, wie die Politik behauptet. Dass wir eine Nation sind. Und gemeinsam werden wir das nächste große Kapitel der amerikanischen Geschichte beginnen. Mit drei Worten, die von Küste zu Küste schallen. Von Ozean zu Ozean. Yes. We. Can.“
Es ist das Grundproblem eines jeden, der sich in einer Machtposition befindet oder eine anstrebt: Er entfernt sich von den anderen. Er lebt nicht mehr in ihrer Welt, teilt nicht mehr ihre Sorgen. Auf der anderen Seite ist er auf ihre Unterstützung angewiesen. Sie sollen ihm vertrauen, seinen Anweisungen (→ S. 43, „Das A und O der Dominanz“) Folge leisten, dafür sorgen, dass seine Ziele erreicht werden, oder ihm ihre Stimme geben. Am zuverlässigsten gelingt dies, wenn die Gefolgsleute den Eindruck haben: Das ist einer von uns. Der wird unsere Interessen schon zu wahren wissen.
„Ich bin ein Berliner.“
Dass diese Verbundenheit besonders eindrucksvoll gelingt, wenn unerwartet eine Brücke geschlagen wird, zeigt das klassische Beispiel von John F. Kennedy, der in einer Sternstunde der politischen Rhetorik verkündete: „Ich bin ein Berliner.“ Kennedy besuchte als erster US-Präsident nach dem Bau der Mauer West-Berlin. In seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus erklärte er: „Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz: Ich bin ein Bürger Roms. Heute in der Welt der Freiheit ist der stolzeste Satz: Ich bin ein Berliner. Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger Berlins. Und deshalb bin ich als freier Mensch stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner.“ Dabei wurde die Wirkung dieses Satzes erhöht durch den Umstand, dass der
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