Die Sprache der Macht
wirksam. Wir sind nämlich auf uns zurückgeworfen, ohne unseren Wortführer, der uns deutlich spüren lässt: Das, was er will, das wollen eigentlich wir. Er ist nur unser Werkzeug, stellt sich in unseren Dienst. Und wenn er jetzt rhetorisch in den Hintergrund tritt, bemerken wir, wie sehr wir ihn oder sie brauchen.
„Dieser Abend gehört euch“
In seiner Rede, in der er seinen „Yes we can“-Slogan entfaltet, gibt es eine Passage, in der Barack Obama seine Konkurrenten lobt als Patrioten, die nur das Beste für das Land wollen. Allerdings fährt er fort: „Doch der Grund, warum unsere Kampagne immer anders gewesen ist, besteht nicht so sehr darin, was ich als Präsident tun werde. Vielmehr kommt es darauf an, was ihr, die Menschen, die dieses Land lieben, tun könnt, um dieses Land zu verändern. Darum gehört dieser Abend euch.“
Eine interessante Spielart dieser Technik nutzt der Linken-Politiker Gregor Gysi. Die Süddeutsche Zeitung hat sie das „identifikatorische Du“ getauft. Wenn Gysi von sich selbst spricht, wechselt er gelegentlich ins „Du“. Das wirkt wie ein Mittelding zwischen belauschtem Selbstgespräch und freundschaftlichem Rollentausch: Stell dir vor, du wärst an meiner Stelle.
Durch dieses sprachliche Manöver rückt uns der Politiker menschlich näher; er kommt uns vertraut und sympathisch vor. Manche empfinden seine Worte auch als anbiedernd, aber die haben von vornherein keine Sympathien für ihn. Das „Du“, mit dem er seinen Zuhörern auf den Leib rückt, ist legitimiert durch das halbe Selbstgespräch, an dem er uns teilhaben lässt.
„Du kommst mit zehn neuen Problemen raus“
Im Jahr 2002 war Gregor Gysi Wirtschaftssenator in Berlin. In einem Interview äußerte er: „Im Übrigen ist völlig klar: Wenn du dich in die Regierungsverantwortung begibst, trägst du unangenehme Entscheidungen mit.“ Und über die Arbeit in den Sitzungen bemerkte er: „Du gehst mit einem Problem rein und kommst mit zehn neuen raus.“
Die Wirkungsweise des „identifikatorischen Du“ wird deutlich, wenn Sie das „Du“ durch ein „Ich“ ersetzen. Schließlich redet Gysi ja von sich selbst. Doch wie anders wirkt der Satz: „Wenn ich mich in die Regierungsverantwortung begebe, trage ich unangenehme Entscheidungen mit.“ Das ist eine Aussage, die nur Gysi betrifft. Sie lässt uns völlig unberührt. Durch das „identifikatorische Du“ betrachten wir die Welt hingegen aus der Perspektive von Gysi. Er zieht uns auf seine Seite. Wir sind weit eher geneigt, ihm zuzustimmen.
Sprache der Macht im Alltag: Vergessen Sie nicht, „ich“ zu sagen.
Damit Obamas „Ihr“ und Gysis „Du“ ihre volle Wirkung entfalten können, ist es hilfreich, immer mal wieder ein „Ich“ oder ein „Wir“ einzuflechten. Dadurch bekommt jedes „Ihr“ und jedes „Du“ viel mehr Gewicht. So wird an entscheidender Stelle der richtige Akzent gesetzt, sonst wirkt die Rede flach und das Stilmittel erscheint als kuriose Sprachmarotte.
Gegenstrategien
Nicht jedes vereinnahmende „Wir“ muss für Sie nachteilig sein. Womöglich können Sie sogar einen Vorteil daraus ziehen, dass Sie im übertragenen Sinn in einem Boot sitzen. Sie können das „Wir“ aufgreifen und Ihrerseits Vorschläge machen oder auch Forderungen stellen. Auch können Sie die Aussagen, die Ihr Gegenüber über „uns“ getroffen hat, in Zweifel ziehen: „Ich bin da ganz anderer Ansicht.“ Und wenn Sie den Verdacht haben, dass der andere seine Interessen als unsere Interessen ausgibt, können Sie genau das thematisieren.
Schon deutlich massiver fällt die Gegenwehr aus, wenn die Angesprochenen die Vereinnahmung durch das „Wir“ zurückweisen. Sie bestreiten einfach, dass es gemeinsame Interessen in der betreffenden Angelegenheit gibt: „Sie haben Ihre Interessen, wir haben unsere. Lassen Sie uns eine Lösung aushandeln.“ Sie können den andern auch ganz offen ausgrenzen und ihm zu verstehen geben, dass er nicht zu ihnen gehört. Selbstverständlich belasten sie damit die Beziehung zu dem Betreffenden sehr stark. Hat er in der „Wir-Gruppe“, um die es geht, einen gewissen Rückhalt, könnten am Ende die Angesprochenen selbst unter Druck geraten. Auf der anderen Seite lässt sich der Einfluss einer Führungsfigur stark drosseln, wenn man allgemein zu verstehen gibt, dass sie nicht dazugehört – oder zumindest nicht ganz.
Denn eine subtilere (aber keineswegs harmlosere) Abwehr der Vereinnahmung durch das „Wir-Prinzip“
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