Die Sprache des Feuers - Roman
und Wortkünstler.
Diesmal versucht er seine Kunst an Dasjatnik Valeshin.
Karpozow hat einen Riecher für talentierte Leute. Der junge Valeshin ist clever, aalglatt und so skrupellos, dass er seine eigene Mutter ans Messer liefern würde. Genau solche Kader sucht Karpozow. Also schlendert er mit ihm durch den Park, pfeift den Frauen nach, erzählt belangloses Zeug, dann kauft er zwei große Portionen Eis, setzt sich mit Valeshin auf eine Bank.
Und fragt: »Genosse, was hältst du von einem Einsatz in den Vereinigten Staaten?«
Er streckt die breite Zunge raus, leckt an seinem Eis und grinst dazu wie Mephisto.
»Davon halte ich sehr viel«, antwortet Valeshin.
Es ist die Chance seines Lebens.
»Die Vereinigten Staaten führen einen Wirtschaftskrieg gegen die Sowjetunion«, belehrt ihn Karpozow und leckt weiter an seinem Eis. »Reagan weiß genauso gut wie wir, dass wir den nicht mehr lange durchhalten. Wenn wir weiter in diesem Tempo Raketen und U-Boote bauen, bricht unsere Wirtschaft zusammen. Das ist die bittere Wahrheit, Genosse. Sie können uns besiegen, indem sie immer weiterrüsten.«
Er wirft einen besorgten Blick auf den Park, als könnte er jeden Moment vom Erdboden verschluckt werden, zusammen mit der ganzen Sowjetwirtschaft.
Dann sammelt er sich und redet weiter. »Wir brauchen Geld – Devisen –, und die können wir hier nicht erwirtschaften. Wir müssen andere Quellen erschließen.«
»Und wo?«
»In Amerika«, sagt Karpozow. »Unsere ausgebürgerten russischen Kriminellen in New York und Kalifornien machen jede Menge Dollars. Sie melken das kapitalistische System wie eine Kuh. Das sind natürlich Verbrecher, aber eins ist klar: Was gewöhnliche Verbrecher können, das können wir besser ...«
»Was könnte denn so eine Einsatzgruppe des KGB machen?«
»Wir haben brillante Ideen«, sagt Karpozow. »Indem wir den Kapitalismus schädigen, nutzen wir uns selbst. Jeder Dollar, den sie verlieren, ist ein Dollar, den wir gewinnen.«
»Meine Aufgaben lägen also auf dem Gebiet der Wirtschaftssabotage?«
»So kann man es nennen«, sagt Karpozow. »Man kann auch sagen: Holen, was zu holen ist.«
Valeshin traut seinen Ohren nicht. Er hat sich in der afghanischen Mondlandschaft den Arsch abgefroren, jetzt erwartet ihn der Winter in einer Sowjetunion, die eindeutig vor die Hunde geht, und wenn er Glück hat, darf er für immer bei seiner Mutter hausen, in einer winzigen Wohnung, vielleicht einmal im Jahr ans Schwarze Meer fahren. Und jetzt schreit diese Stimme in ihm: Ich muss von ihr weg, und das ist meine Chance! Doch da ist noch die andere Stimme, die schreit: Ich muss ihr das Leben bieten, das sie verdient, und in Amerika kann ich ein Vermögen machen!
Und wo ist der Haken?
»Genosse, du musst ein Jude werden«, sagt Karpozow.
»Ein Jude? Warum ein Jude?«
»Wie sollen wir sonst dort reinkommen?«, sagt Karpozow. »Die Amerikaner fordern ständig: ›Lasst ein paar Juden frei, lasstein paar Juden frei.‹ Na schön, lassen wir also ein paar Juden frei und schicken ein paar gut ausgebildete – wie sagtest du, Genosse? – Wirtschaftssaboteure mit.«
»Aber ein Jude werden ...«
»Ich weiß, es ist ein Opfer«, sagt Karpozow. »Vielleicht ist es auch zu viel verlangt ...«
»Nein, nein, nein, nein«, erwidert Valeshin hastig und sieht für einen schrecklichen Moment seine Felle wegschwimmen. »Natürlich nehme ich den Auftrag an.«
Karpozow verspeist den Rest seiner Waffel und grinst.
» Massel tov! «, sagt er.
Und Valeshin muss zur »Judenschule«.
Das ist ein kleiner Kurs, den der KGB veranstaltet. Jüdische Häftlinge pauken ihm die Thora, die Diaspora, den Holocaust ein und die ganze Geschichte der russischen Pogrome. Valeshin studiert jüdische Geschichte, die Geschichte Israels, die jüdische Kultur und Tradition. Jüdische Künstler, Schriftsteller, Komponisten.
Den Abschluss des Kurses bildet ein Seder-Abend zum Pessach-Fest.
Und Valeshin freut sich schon auf das Flugticket nach Amerika.
Aber Karpozow meint: Nicht so hastig, erst geht’s ins Gefängnis.
»Gefängnis? Davon haben Sie nichts gesagt!«, protestiert Valeshin.
»Dann sag ich’s eben jetzt«, sagt Karpozow bei einem weiteren Spaziergang im Gorki-Park. »Denn du musst die Organisazija infiltrieren. Das sind die Leute, die das viele Geld in den Vereinigten Staaten machen. Wenn du da nicht Mitglied wirst, hast du keine Chance.«
Valeshin ist wütend – auf Karpozow und sich selbst, weil er sich in eine Falle
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