Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
nicht …?»
Mandy stößt eine Art Lachen aus, das unvermittelt in einen trockenen Husten übergeht. Es dauert eine Weile, bis sie antworten kann.
«Ja, das ist richtig – fast. Die meisten Formen von Leukämie sind heutzutage heilbar, und wenn sie nicht heilbar sind, lässt sich der Krankheitsverlauf deutlich abmildern. Über mehrere Jahre zumindest. Diese Version kann jedoch keiner heilen. Jedenfalls niemand wie du und ich. Zwischenzeitlich dachte ich, den Weg zurückgefunden zu haben, aber es war schon zu spät. Leider zu spät.»
Carsten hätte noch jede Menge Fragen, jede Menge zu sagen, aber es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Vielleicht kommt der richtige Zeitpunkt nie mehr. Carsten weiß es nicht. Vorsichtig löst er sich aus Mandys Umarmung, steht auf und zieht sie vorsichtig auf die Beine.
«Komm, wir gehen nach Hause.»
xl Das Ende ist nahe
Carsten hat sich krankgemeldet, was ihm diverse unschöne Bemerkungen und einige unverhohlene Drohungen seitens seines Arbeitgebers eingebracht hat, aber damit kann Carsten leben. Freiherr von der Hohen Ward und sein Garten sind ihm momentan egaler als egal.
Draußen vor der Hütte geht gerade eine besonders tückische Form von Aprilunwetter auf die erschreckten Jungpflanzen nieder. Einige Hagelkörner finden den Weg durch die geöffnete Eingangstür, rollen munter in Carstens Kemenate und bleiben am Fuß seines Lieblingssessels liegen. Im Sessel sitzt Mandy. Sie ist komplett in eine alte Bundeswehrwolldecke eingerollt, nur das blasse Gesicht und eine Hand sind von ihr zu sehen. Auf ihrem Schoß hat sich Helmut zusammengerollt, man meint Mandys Knochen unter dem Gewicht des mächtigen Katers förmlich knacken zu hören. In der Hand hält sie eine Tasse Tee, aus der sie gelegentlich vorsichtig trinkt. Ihr gegenüber auf dem Sofa sitzt Carsten. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Bierkrug, den er allerdings in der letzten halben Stunde nicht angerührt hat. Ein schlechtes Zeichen.
«Ich glaube, ich bin dir noch ein paar Erklärungen schuldig, Carsten. Ich weiß allerdings nicht so recht, wie ich anfangen soll – leider ist die Sache komplizierter, als du denkst. – Wahrscheinlich fragst du dich in erster Linie, was ich mit einer Körperbombe auf der Party deines Chefs gemacht habe, oder? Das hätte ich mich zumindest gefragt. – Aber dazu komme ich später. Ich fange lieber von vorne an, oder besser gesagt: in der Mitte. – Weißt du, es war kein Zufall, dass wir uns kennengelernt haben. Ich hatte eine – sagen wir mal – Mission zu erfüllen, in meinem Interesse, aber auch im Interesse anderer. Dafür brauchte ich Informationen über Münsters altes Kanalsystem. Über einen Kontakt bei Life-Aid wurdest du mir als potenzielle Quelle genannt und so habe ich mich an dich rangemacht. – Was einfach war …» Mandy zieht ihre Lippen ein wenig in die Breite, «… und Spaß gemacht hat. Dass ich mich in dich verliebt habe, war nicht geplant und hat der Angelegenheit eine schmerzliche Wendung gegeben. Na egal, ich durfte darauf keine Rücksicht nehmen, habe gefunden, was ich gesucht habe, und dir die Pläne geklaut. Was mir zu dem Zeitpunkt nicht klar war: Es war für die Durchführung meines kleinen Vorhabens bereits zu spät. Klappe zu, Mandy tot. Irreversibler Prozess. Zug abgefahren. Das war eine tolle Überraschung, sag ich dir. Alles umsonst. Dein Leben läuft auf Schienen mit wahnsinniger Geschwindigkeit auf die dunkle Öffnung eines Tunnels zu und du kannst nichts machen. Bis alles vorbei ist. Ich war jedenfalls am Boden zerstört, wie du dir vorstellen kannst, und in diesem Moment ist ein mysteriöser Typ, der sich Sprengmeister nannte, an mich herangetreten und hat mir den Vorschlag gemacht, mein Leben wenigstens schmerzlos und mit einem Knall zu beenden.»
«Das nennst du schmerzlos und mit einem Knall? Jede Menge unschuldige Menschen in die Luft sprengen?» Carsten ist zu erschöpft, um wirklich entrüstet zu sein, es ist mehr ein verbaler Reflex.
«Ich will mich nicht entschuldigen. Ich glaube, du kannst dich gar nicht in meine Lage versetzen. Nur so viel dazu: Ich habe mein Leben lang gearbeitet, gut gearbeitet, wollte immer das Beste für alle, stelle mit Mitte sechzig fest, dass ich krank bin und das es keinen gibt, den das interessiert. Dass andere … egal, das war eine unschöne Situation, kannst du mir glauben. Da kommt Wut hoch. Für die Kompensation dieser Wut wurde mir ein probates Mittel geboten.»
«Das nennst du ein probates Mittel?
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