Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
eingestellten – öffentlich-rechtlich-privatwirtschaftlichen Medienangebot berieseln lassen, um nicht versehentlich einen klaren Gedanken zu fassen. Unterm Strich war es für alle ein Gewinn.
xlv Gespräch unter alten Freunden
Aus dem Wintergarten dringt das gepflegt-affektierte Gemecker seiner Arbeitgeberin nebst allerallerbesten Freundinnen. Solange die Geräuschkulisse stabil bleibt, kann Carsten weitgehend risikoarm seiner neuen Nebenbeschäftigung als Robin-Hood-Sherlock-Holmes-Romeo-needs-Mandy nachgehen. Unter Vortäuschung falscher Pflanzenpflegeaufgaben hat sich Carsten ins Allerheiligste der Hohe Wardschen Liegenschaften gelogen: das Arbeitszimmer von Freiherr von der Hohen Ward. Die Damen sind mit der Digestion eines Magnumfläschchens Fürst Schmettermich ausgelastet und so Gott will, kann er sich die nächsten fünfzehn Minuten seinem ganz privaten Vorhaben widmen.
Carsten setzt sich vorsichtig auf die Kante des gepflegten Büro-Stilmöbels, zieht einen verknitterten Zettel aus der Brusttasche seines grünen Kittels und holt tief Luft. Vor ihm auf der polierten Schreibtischplatte steht das Fon seines Chefs. Allein der Vorsatz, es zu benutzen, katapultiert Carsten strafmaßtechnisch in die Gefilde niederster triebgesteuerter Gewaltverbrecher. Mithin ist es Carsten egal, was mit ihm passiert, Hauptsache Mandy.
Er wählt die Nummer, die ihm sein Kontakt bei der Dope-Verwertungsgesellschaft Kreuzviertel hat zukommen lassen und lauscht mit klammen Fingern auf die leisen Tut-Geräusche, die aus der ergonomisch erstaunlichen Sprechhörkombination quellen. Ist er jetzt nicht erfolgreich, kann es Tage dauern, bis sich eine ähnlich günstige Gelegenheit ergibt. Tage, die Mandy möglicherweise nicht mehr bleiben.
«Ja?»
«Hallo, äh, ich möchte gern … spreche ich mit Herrn Ederim?»
«Nein, hier spricht der Unheilige der letzten drei Tage … was gibt es?»
«Erkan, bist du das? Hier ist Carsten.»
«Carsten? Ich kenne keinen Carsten. Wählen Sie gefälligst die Nummer der Zentrale.»
Carsten hört ein sonores Piepsen. Sein Gesprächsteilnehmer hat aufgelegt. Seufzend und schwitzend betätigt Carsten die Wahlwiederholung.
«Ja was?»
«Erkan, jetzt leg nicht wieder auf. Hier ist Carsten Kluncker. Die Kanalratte.»
«Kanal-Carsten! Sag das doch gleich. – Lange nichts von dir gehört, wie schauts denn so?»
«Hör mal, Erkan, ich brauche deine Hilfe.»
«Aber natürlich. Stets zu Diensten. Die Polizei, dein Freund und Helfer. Worum gehts denn? Hat man dir das Fahrrad geklaut? Wäre ja nicht das erste Mal.»
«Nein, äh, die Sache ist etwas heikler …»
«Na, raus mit der Sprache. Wir beißen nicht, haha, jedenfalls nicht jeden.»
Erkan Ederims joviales Stammtischgepolter ist Carsten schon in besseren Tagen gewaltig auf den Senkel gegangen, aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, den Empfindsamen zu spielen.
«Lieber nicht. Jedenfalls nicht am Fon. Ich könnte mir vorstellen, dass da schon mal das eine oder andere Gespräch … na, du weißt schon.»
«Na klar, was dachtest du denn. Die sind hier komplett paranoid. Die haben sogar Überwachungskameras auf dem Klo installiert. – Damit niemand zu viel Papier verbraucht oder während der Arbeitszeit an seinem Abflussrohr herumzurrt .»
Carsten ist nicht in der Stimmung, die Anspielungen auf alte Zeiten zu goutieren.
«Sehr komisch. – Können wir uns treffen?»
«Also, Carsten, für Privataudienzen ist im Moment wenig Raum, weißt du, wir stehen momentan mit dem Rücken zur Wand …»
«In einer Stunde. Café Kleimann. Und vergiss nicht: Du bist mir noch etwas schuldig.»
Carsten legt auf, löscht die Nummer aus dem Speicher des Fons, wischt den Hörer ab und schleicht aus dem Büro.
Pünktlich eine Stunde später hockt Carsten in einer strategisch günstigen Ecke des Traditionscafés und nuckelt an einem Latte Macchiato aus Kaffee-Ersatzstoffen und Laktose freier Milch. Normalerweise kann er sich ein Etablissement wie Kleimann nicht leisten, aber seit er der ebenfalls in die Jahre gekommenen stellvertretenden Geschäftsführerin vor einiger Zeit den Fruchtstempel massieren durfte, hat er hier einen Stein im Brett. Das Café sieht aus, als wäre vor geraumer Zeit ein wahnsinniger Polsterer mit seiner Paschnagelpistole Amok gelaufen. Alles, was auch nur entfernte Ähnlichkeit mit einem Sitzmöbel hat, ist mit einem fein gestreiften Möbelstoff aus goldgewirktem Jacquard-Damast im Farbton Bordeaux überzogen und wird durch eine wahre
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