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Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Titel: Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Wacker
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Orgie von Ziernägeln, Marabus, Gimpen und Borten zusammengehalten. Die Wände sind das Opfer eines farbenblinden Malers, Tapezierers oder Anstreichers, der im Rahmen seiner Tätigkeit nicht nur diverse musterseitig inkompatible Posten Seidentapete, sondern augenscheinlich auch die gesamten Restbestände des Münsterlandes an Goldbronze recyceln konnte.
    Lustlos befingert Carsten die mattgrüne Plastikoberfläche eines künstlichen Palmlilienblattes, das ihm als Sichtschutz dient, und wünscht sich zurück in einen echten Garten mit ordentlichen, wachstumsorientierten Pflanzen. Bevor die Schwermut überhandnehmen kann, gleitet Erkan Ederim an seinen Tisch. Er mustert seine alte Bekanntschaft mit einem munteren Grinsen im Gesicht.
    «Ich habe die ganze Zeit gegrübelt, aber es ist mir nicht mehr eingefallen. Wie haben deine Mitarbeiterinnen im Amt dich damals immer genannt?»
    Carsten presst die Lippen aufeinander, was einige hässliche Unmutsfalten hervorbringt. Nach einem kurzen Moment ringt er sich doch die Antwort ab.
    «Canale Grande.»
    Erkan Ederim kichert.
    «Genau. Canal Grande. Bin ich nicht mehr drauf gekommen. Muss das Alter sein.»
    «Was soll ich denn sagen?»
    «Na, komm.» Erkan legt den Kopf auf die Seite. «Für einen – wie alt bist du jetzt …»
    «Sechsundsiebzig.»
    «… Sechsundsiebzigjährigen siehst du noch ganz passabel aus.»
    Carsten schnauft indigniert. Für charmante Untertreibungen hat er seit Neuestem wenig Sinn.
    «Ich sehe scheiße aus. – Du übrigens auch.»
    Das Gespräch versandet und kommt erst wieder in Fahrt, als die Serviererin dem neuen Gast eine gute Tasse Bohnenkaffee mit einem Sahnehäubchen darauf kredenzt.
    «Na gut, was willst du? – Und komm mir nicht mit irgendwelchen alten Geschichten.»
    «Alte Geschichten? Du hast ja Nerven. Ich habe dir damals den Arsch gerettet. Schon vergessen?»
    «Das ist längst verjährt.»
    «Mord verjährt nicht und auch nicht das Gegenteil davon.»
    «Werd nicht spitzfindig. Ich bin ja hier. Also, worum geht es?»
    «Hab ich schon gesagt. Ich brauche deine Hilfe.»
    «Jeder braucht im Moment meine Hilfe. Vergiss es.»
    «Na gut. Dann ein Geschäft. Wie in alten Zeiten.»
    «Schon besser. – Also, raus damit!»
    «Du sollst mir Zugang zu den Forschungsstätten in den alten Kliniken verschaffen.»
    Erkan ist spontan erblasst. Jetzt sieht er aus wie ein unrasierter Untoter, der gerade eine schlechte Nachricht erhalten hat.
    «Die Forschungsstätten in den alten Kliniken ? Bist du blöde? Wo hast du das aufgeschnappt?»
    «Egal. Hilfst du mir jetzt oder nicht?»
    «Du weißt doch gar nicht, wovon du redest. Da kann man nicht einfach reinspazieren und Pfötchen geben.»
    «Doch, du kannst. Du bist der Vize-Chef von ‹Objektschutz und Gefahrenabwehr›. Du kommst überall rein und Pfötchen geben will ich auch nicht.»
    «Kommt überhaupt nicht in die Tüte. Ich habe genug andere Probleme.»
    «Genau. Und bei der Lösung des größten deiner anderen Probleme könnte ich dir helfen.»
    «Ach ja? Und was ist mein größtes anderes Problem, du Schmock?»
    «Die Sprengmeister.»
    Erkan mustert Carsten mit einem plötzlich diamantharten Blick. Jeder noch so kleine Rest der alten, selbstgefälligen Jovialität ist verschwunden. Dann beugt er sich nach vorn und flüstert.
    «Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du weißt wohl nicht, wann man besser die Klappe hält. Was weißt du über die Sprengmeister?»
    Carsten begegnet Erkans Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.
    «Ich weiß nicht, wer oder was die Sprengmeister sind, aber ich weiß, wo du sie findest .» Er streckt seine Hand über den Tisch. «Also, sind wir im Geschäft oder sind wir im Geschäft?»
    Erkan lehnt sich zurück in sein Kaffeehausmöbel. Er nickt unmerklich mit dem Kopf. Plötzlich beugt er sich ruckartig nach vorn, schnappt Carstens Hand und zerrt ihn nach vorn, bis die Kante des Tischchens die Vorwärtsbewegung stoppt. Der Griff ist hart und schmerzhaft.
    «Na schön, Kanalratte. Wir sind im Geschäft. Aber wehe, du verlädst mich. In dem Fall werde ich dich eigenhändig im größten Wasserspeicher von Münster ersäufen.»

xlvi Heiße Spuren
    Carsten stößt das Tor zu seinem Garten auf und schleppt sich müde Richtung Hütte. Der Tag hatte es in sich, keine Frage. Vor der Küchenbank hübsch akkurat in einer Reihe liegen vier tote Nager auf dem Rücken, die Kehlen zerfetzt, den leeren Blick anklagend in die Höhe gerichtet. Man muss kein Jonathan Harker sein,

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