Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
hinter einem mittelgroßen Schützenpanzer der Münsteraner Einsatzkräfte und verflucht sich innerlich. Neben ihm sitzt Erkan Ederim und stochert missmutig in einem kleinen gemischten Salat mit Schafskäse.
«Wie kannst du jetzt bloß essen», presst Carsten heraus.
«Wann soll ich sonst essen. Immerhin ist jetzt gerade mal Pause», nörgelt dieser zurück.
In gewisser Weise hat Ederim recht. Weder wird zurzeit geschossen, noch gearbeitet, noch regnet es, was in Münster gute Voraussetzungen für eine kleine Zwischenmahlzeit im Freien schafft. Carsten ist der Appetit auf jedwede Nahrung vergangen, seit man ihn aufgefordert hat, dem Antiterroreinsatz beizuwohnen, und zwar nicht ohne ihn darüber aufzuklären, was ihm passieren könnte, wenn die Information eine Ente sein sollte.
Carsten wirkt in seinen abgetragenen Bundeswehrklamotten unter all den tarnfarbenen Kampfanzügen wie das hässliche Entlein unter Eliteschwänen. Unweit des Panzers steht der Einsatzleiter der ganzen Chose, ein angeblich gewiefter Terrorbekämpfer mit Namen Grothues, der wohl der Boss der Abteilung «Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung» ist, obwohl er mit seinem leptosomen Körperbau und seiner leicht vornübergebeugten Haltung eher an einen Buchhalter erinnert. Das mittelblonde Haar mit Seitenscheitel und die leicht vorstehenden Schneidezähne verstärken diesen Eindruck noch. Es könnte auch der abgetragene schwarze Kampfanzug nicht mehr viel herausreißen, wäre da nicht dieses überaus lässige Gebaren im Umgang mit der armlangen automatischen Waffe, die Grothues quasi wie nebenbei im Stehen zerlegt und – ohne dem große Aufmerksamkeit zu schenken – routiniert wieder zusammensetzt. Ein abgestoßenes Magazin wird geschüttelt und ohne Federlesens unten in die Waffe gerammt. Die ganze Zeit spricht er leise in ein Headset, das in seinem linken Ohr steckt. Jetzt schnippt er gegen den Mikrofonbügel, was das Gespräch beendet, und kommt mit energischen Schritten herüber zu Erkan und Carsten.
«Angriff in minus fünf Minuten», sagt er lässig und fixiert Carsten mit einem geraden Blick aus seinen grauen Augen. «Sie bleiben hier und halten sich bereit, um notfalls standrechtlich erschossen zu werden, wenn sich das hier als Scherz herausstellen sollte.» Er sieht Carstens schreckgeweitete Augen und muss grinsen. «Allerdings haben wir das Terrain bereits gescannt und es sieht tatsächlich so aus, als wäre da was. Würde ich Ihnen jedenfalls wünschen. Und dir auch!» Er nickt Erkan Ederim zu. «Na los, auf deinen Posten. Das ist hier kein Reservisten-Picknick.» Er schultert sein Gewehr und geht auf eine Gruppe Schießwütiger zweiter Klasse zu.
«Was war denn das für einer?»
«Das ist der, der dich fressen wird, wenn du uns verarscht hast. – Was ich allerdings nicht glaube, oder besser gesagt, nicht hoffe – in deinem Interesse, Kanalratte.»
«Kooperation ist die erste Bürgerpflicht», sagt Carsten vorsichtig. Wie konnte er nur so dämlich sein.
Erkan Ederim wirft einen Blick auf den Chronometer an seinem Handgelenk.
«Du bleibst hier und hältst die Fresse, bis ich wiederkomme.» Er schnappt sich seinen Helm und würgt ihn auf die stachelige Birne. «Und dass mir keine Klagen kommen.» Noch ehe Carsten etwas Beschwichtigendes vom Stapel lassen kann, ist er verschwunden.
Die allgemeine Hysterie in Bezug auf die Sprengmeister, der immense Druck, der von den Stadtoberen ausgeübt wird, und nicht zuletzt die unübersehbaren schwarz-gelben Biohazardschilder, die das Gelände wie ein kleiner Wald umfrieden, haben zu einer gewissen gespannten Erwartung bei den Anwesenden geführt, denn alle bisherigen Versuche, etwas über die Terroristen herauszufinden, sind im Sande verlaufen. Die Spur zu Life-Aid führte eben auch nur zu Life-Aid und keinen Meter weiter. Natürlich hat man die Frau gekannt, hat versucht sie zu behandeln. Aber nein, ohne Erfolg. Die Mittelausstattung, Sie wissen schon. Woher sie kam? Oh, keine Ahnung. Wohin sie ging? Nicht den blassesten Schimmer. Aber verzweifelt war sie. Alt, einsam und verzweifelt. Verwandte? Angehörige? Freunde und Helfer? Nein, tut uns sehr leid. Wir haben die Patientin kaum gekannt und so weiter und so fort. Die Münsteraner Sicherheitskräfte haben es nicht leicht.
Carsten hat sich ein bisschen umgesehen. Gewissermaßen ist ja auch er vom Fach, wenn es auch ein paar Dutzend Jahre her ist. Vorsichtig schlägt er die Plane zum Zelt der behelfsmäßigen Einsatzzentrale auf.
Weitere Kostenlose Bücher