Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
Soldaten sind dabei, die Scharniere wegzuflexen, ein unangenehmes Kreischen liegt in der Luft. Noch bevor Carsten und Grothues den Raum durchquert haben, sind die Arbeiten abgeschlossen. Zu viert hebeln sie die Tür vorsichtig aus dem Rahmen und lehnen sie an die Wand. Dahinter liegt ein knapp zwei Quadratmeter großer Abstellraum, der vorwiegend mit Sperrmüll vollgestellt zu sein scheint, aber eben nicht ganz. Auf einem alten Stahlregal an der Seite liegen mehrere zigarettenschachtelgroße Blöcke aus blauem Knetgummi, daneben blinkt etwas. Bevor Carsten etwas sagen kann, hat Grothues ihn bereits an der Schulter gepackt und aus der Kammer gerissen.
«Scheiße, raus hier – sofort – ALLE!»
Carsten spürt, wie das barmherzige Nebennierenmark eine Tasse Adrenalin in seinen müden Blutkreislauf drückt. Blitzartig wird ihm klar, wie sich ein früher Vorfahr des Homo sapiens gefühlt haben muss, wenn ein hungriger Säbelzahntiger den Kopf in die Höhle gesteckt hat, um «Hallo» zu sagen. Alt hin oder her, er nimmt die Beine in die Hand und zischt los wie eine frisch gezündete Trägerrakete.
l Wohngemeinschaftsleben
Vorsichtig humpelt Carsten in die Küche des Gemeinschaftstraktes von Klein-Wilkinghege, um zu schauen, ob die Braumaschine schon neuen Bölkstoff ausgespuckt hat, denn hier wie im richtigen Leben gilt: Wer zuerst kommt, zapft zuerst. Zu seinem Leidwesen ist er nicht der Einzige, der mit ein paar leeren Flaschen auf das Ende des Brauprozesses wartet. Am abgenutzten Holztisch sitzen bereits die Dorschens, unweit von ihnen lehnt Sabine an der Wand. Die Farbe ihrer Augenränder deutet auf eine kürzlich erfolgte Absonderung von Tränenflüssigkeit hin.
«Hallo, die Damen.» Carsten fabriziert eine vorsichtige Verbeugung in Richtung versammelte Weiblichkeit und lässt sich langsam auf den einzigen noch freien Stuhl sinken. Im Vergleich zum gestrigen Tag kann er sich heute schon wieder halbwegs bewegen. Wenn man Horsts Diagnose Glauben schenken mag, hat er sich nichts gebrochen oder verstaucht, nur ein paar Prellungen nebst blauen Flecken und ein Schleudertrauma. Für den Rest ist angeblich das Alter verantwortlich. «Wie ist das werte Befinden?»
Sabine fängt daraufhin lautlos an zu weinen, Rosi und Dora, bleich, faltig und unleidlich, fixieren Carsten mit stierem Blick, ihre Körper scheinen in ständiger Bewegung zu sein, so als würde ein unsichtbarer, geräuschloser Motor in ihnen tuckern und ihre Gliedmaßen in ein unrundes Dauerzucken versetzen.
«Das werte Befinden war bis vor Kurzem den Umständen entsprechend. Gerade ist es schlechter geworden. Du könntest allerdings dazu beitragen, dass es wieder so wird, wie es war, und zwar in dem du gehst.»
Solche und ähnliche Bemerkungen haben zurzeit nicht genug kinetische Energie, um Carsten aus der Bahn zu werfen. Nicht nach den Erfahrungen der letzten beiden Wochen.
«Warum so unleidlich, Ladys?» Er schielt hinüber zur Warburger, die leise schnaufend vor sich hin braut. Es dauert noch einen Moment, vielleicht zu lange.
Dora deutet mit einem dürren, semiversteinerten Zeigefinger Richtung Boden. Carsten legt vorsichtig den Kopf auf die Seite und schaut unter den Tisch. Unter Doras Stuhl liegt Rudi, eine unfertige Mischung aus Pudel und Babywildschwein, die Augen geschlossen, die zottigen Pfoten alle-Viere-weise von sich gestreckt. Seine Schnauze steckt in einem schmuddeligen Verband.
«Was habt ihr mit Rudi gemacht? Maulkorb? Hat er zu viel geredet?»
«Ein feiger Überfall …», beginnt Dora, «… von unglaublicher Brutalität», beendet Rosi den Satz.
«Mein Beileid. – Ihr braucht mich nicht so anzusehen. Ich war es nicht. Ehrenwort.»
«Du nicht, aber dein Kater. Rudi kann quasi nur noch durch den Mund atmen …»
«… weil er nämlich keine Nase mehr hat. Das war dieses schwarzweiße Biest …»
«… das bei dir haust!»
«Es ist Mandys Biest, wenn überhaupt.» Seit die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Mandy und Helmut geklärt sind, hat Carsten keinerlei Probleme, jede auch nur geringfügig folgenbehaftete Aktivität des Katers als in Frauchens Verantwortungsbereich gehörig zu klassifizieren, was Frau und Kater WG-intern bereits die Bezeichnung «die Schöne und das Biest» eingetragen hat.
«Wahrscheinlich wollte Rudi wieder einmal in mein Hochbeet schnasseln und ist Helmuts Katzenminze dabei zu nah gekommen. Helmut hasst es, wenn sich jemand an seine Minze heranmacht. Ich übrigens auch.»
«Rudi wäre fast
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