Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
göttlichen Auftrag handeln. Wenn es nach Hellström gegangen wäre, hätten sie die wahrscheinlich bedeutendste medizinische Entdeckung des Jahrhunderts wie ein Medikament vermarktet. Sündhaft teuer, versteht sich, und sehr, sehr exklusiv. Trotzdem, unterm Strich hätte das nichts als Ärger gegeben. Liegt ja auch auf der Hand, denn all die zurückliegenden Jahrtausende konnten sich die Habenichtse damit trösten, dass auch die Reichen und Mächtigen dieser Welt – wenn schon nicht früher, dann zumindest etwas später – den Weg allen Irdischen gehen müssen, und zwar in ein Hemd gewandet, das von besserer Qualität sein mag, aber gleichsam keine Taschen hat. Tja, die Zeiten sind nun vorbei. Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen. Lieber reich und unsterblich, als arm, krank und tot. Nein, es ist besser, den Deckel auf der Sache zu lassen. Das Ganze mit einem Sinn gebenden Überbau zu versehen und die Klappe zu halten. Am Anfang schön vorsichtig. Und dann – in natürlich nicht zu ferner Zukunft – die Ernte einfahren. Die unglaublich fette Ernte. Genuss ohne Reue, vor allen Dingen aber Genuss ohne Ende . Hohe Ward reißt sich gewaltsam aus seinen süßen Träumen, blickt in erwartungsvolle Gesichter, sieht den Fanatismus, wie er nur aus großem Reichtum resultieren kann – oder aus großer Armut natürlich. Egal, man muss tun, was man kann und solange man kann. Lange, lange, lange.
Die Show geht weiter.
xlviii Das Ende des Infozeitalters
Der Weg von der Informationsgesellschaft zur Desinformationsgesellschaft ist schwer, aber er ist zu schaffen. Nachdem die Bürger im Zuge der Wirtschaftskrise von zweitausendundzwanzig den Durchhalteparolen der großen Medien gegenüber immer misstrauischer wurden, explodierte als direkte Folge darauf die Nutzungsintensität diverser Social Media Netzwerke. Die wiederum wollten die Nutzerdaten eigentlich nur dazu verwenden, hochverdichtete Profile zur Weiterverhökerung an die Anzeigenkunden zu erstellen, was mittelfristig zu einem gewissen Interessenkonflikt führte. Auf dem Höhepunkt der Schlacht um die Daten erfand ein altbiertrinkender Nerd aus Düsseldorf ein Programm, das im Folgenden unter dem Namen Ass-Up-Face-Down oder kurz AUF-D die Kommunikation im Netz umkrempelte und seinen Nutzern die lange vorenthaltenen Persönlichkeitsrechte zurückgab. Die Folge war eine aufgrund des unzensierten Datenverkehrs hochschwappende Welle sozialen Ungehorsams, die es schließlich opportun erscheinen ließ, den ganzen Quatsch abzuschalten. Internet, Facebook, Google, Amazon und Co: Aloha. Die Open-Source-Gemeinde von AUF-D begriff das Ganze eher als Spaßbeschleuniger und verlegte sich daraufhin auf die Sparten Rundfunk und Fernsehen, entwickelte binnen kürzester Frist eine Programmalternative und kaperte am Ende fast die gesamten restlichen elektronischen Medien, die daraufhin ebenfalls abgeschaltet wurden. Jetzt konnten sich die Leute zwar nicht mehr gegen die vermeintlichen Dauerwahrnehmer ihrer vermeintlichen Interessen verbrüdern, andererseits gab es aber auch niemanden mehr, der ihnen etwas sagen konnte. Es kehrte Ruhe ein im Land. Allerdings wäre ein Hacker kein Hacker, wenn er nicht Möglichkeiten suchen und finden würde, solche und ähnliche technische Herausforderungen zu meistern. Das Resultat waren einige recht private Netzwerke, die von der hohen Dichte von erdnahen Satelliten mit Kommunikationsaufgaben profitierten und die, da sie auch wichtig für andere Leute waren, nicht so ohne Weiteres abgeschaltet werden konnten. Rückwirkende gesetzliche Änderungen und die ersatzlose Streichung von allen verbrieften Garantien in Bezug auf Informationsfreiheit konnten dem erwartungsgemäß nicht Einhalt gebieten, da die technischen Mittel der Verhinderer und Verfolger denen der Dennoch-Surfer und Möglichmacher deutlich hinterherhinkten. Mittlerweile hat sich das FWWW oder auch Forbidden World Wide Web wieder ganz gut gemacht, wenn auch weite Teile sowohl der Ordnungsbehörden als auch der Restbevölkerung nichts davon mitbekommen. Die, die wissen, was läuft und wie es läuft, kaufen Kommunikationsdienstleistungen bei den Händlern ihres Vertrauens, die zum Beispiel in Münsters Kreuzviertel mehrere gut gehende Dependancen unterhalten oder sonstigen Nischenanbietern und machen ansonsten einen großen Bogen um die datenfeindliche Obrigkeit und ihre geschlossenen Netzwerke.
xlix Das Imperium schlägt zurück
Carsten hockt mit dem Rücken gegen die Ketten gedrückt
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