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Die Springflut: Roman (German Edition)

Die Springflut: Roman (German Edition)

Titel: Die Springflut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cilla Börjlind , Rolf Börjlind
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Leere.
    In seiner Leere, abgeschnitten vom Dasein der anderen, hatte er oft über die großen Fragen wie Leben, Tod und Existenz nachgedacht. War in die Tiefe gegangen und hatte versucht, einen Anker zu finden, einen Sinn, irgendetwas, woran er sein Leben hätte aufhängen können. Aber er hatte nichts gefunden. Nicht einen Nagel. Nicht einmal eine Heftzwecke. Der Sturz von einem Platz im Konventionellen in ein Loch im Verachteten hatte ihn körperlich und mental mit leeren Händen zurückgelassen.
    Eine Zeitlang hatte er versucht, sein Dasein als eine Form von Freiheit zu betrachten. Frei von sozialen Zwängen, von Verantwortung, von allem.
    Ein freier Mensch!
    Eine Lebenslüge, der sich so mancher Obdachloser hingab, aber er gab die Vorstellung schnell wieder auf. Er war kein freier Mensch, und das wusste er.
    Dagegen war er ein Mensch mit Integrität.
    Ein Wrack in einem Wohnwagen, würden viele wohl mit Fug und Recht behaupten. Aber ein Wrack, das eins gelernt hatte: Wer ganz unten auf dem Grund stand, hatte trotz allem festen Boden unter den Füßen. Das war mehr, als viele andere, hochtrabendere Menschen von sich behaupten konnten.
    Stilton setzte sich auf. Würde es in Veras Wohnwagen wieder so laufen? Würde er über alles Mögliche nachgrübeln? Gerade das hatte er durch seinen Umzug doch eigentlich hinter sich lassen wollen. Er wühlte in seinem Rucksack und zog eine Pillendose heraus, die er auf den Tisch stellte.
    Eine Fluchtdose.
    Bei seinem Absturz hatte er schnell gelernt, wie sich gewisse Probleme lösen ließen. Man floh vor ihnen. Man goss sich ein Glas Wasser ein, nahm zwei Stesolid heraus und schluckte eine Dosis Flucht.
    So einfach war das.
    »Du bist wie Lügen-Benke.«
    »Wer?«
    Stilton erinnerte sich noch gut an das Gespräch. Er hatte mit einem Knastbruder auf dem Platz bei Mosebacke zusammengesessen und sich ziemlich schlecht gefühlt, so dass er schließlich nach seiner Dose gegriffen hatte, und daraufhin hatte ihn der Typ angesehen und den Kopf geschüttelt.
    »Du bist wie Lügen-Benke.«
    »Wer?«
    »Wenn es schlecht lief, ist er immer abgehauen, hat was Weißes geschluckt, sich auf den Boden gelegt und Tom-Waits-Songs aus der Zeit gehört, als Waits noch ein Säufer war, und was hat ihm das gebracht? Dreißig Jahre später ist er auf demselben Fußboden gestorben, und es hat eine Woche gedauert, bis es jemand gemerkt hat. Tom Waits war es jedenfalls nicht. So sieht es aus. Man haut ab, und wenn man lange genug abhaut, wird man erst gefunden, wenn man durch den Briefeinwurf stinkt. Welchen Sinn soll das haben?«
    Stilton hatte geschwiegen. Warum sollte er eine solche Frage beantworten, auf die er selbst keine Antwort hatte? Wenn du den Halt verloren hast, dann hast du den Halt verloren und haust ab, um das Dasein ertragen zu können.
    Stilton nahm die Pillendose in die Hand.
    Lügen-Benke konnte ihm gestohlen bleiben.
    *
    Der kleine Acke war nicht beim Fußballtraining, wie Ovette glaubte. Weit gefehlt.
    Ein paar ältere Jungs hatten ihn abgeholt, und nun saß er weit weg von zu Hause zusammengekauert an einer Felswand. Seine Augen waren starr auf das gerichtet, was ein paar Meter entfernt geschah. Er war zum zweiten Mal dabei, in einem gigantischen Hohlraum im Fels, der ursprünglich für ein Klärwerk vorgesehen gewesen war, irgendwo in der Gegend von Årsta.
    Tief unter der Erde.
    Vorne hatten sie gefärbte Scheinwerfer montiert. Das helle Licht der Lampen flackerte blau, grün und rot über die Felswände. Die Geräusche derer, die gerade dran waren, drangen klar und deutlich an Ackes Ohren. Es waren keine angenehmen Laute. Er ertappte sich dabei, sich die Ohren zuzuhalten, und ließ schnell die Hände sinken. Man sollte sich bestimmt nicht die Ohren zuhalten.
    Acke hatte Angst.
    Er zog ein Feuerzeug heraus und schnüffelte ein bisschen.
    Bald war er vielleicht an der Reihe.
    Er dachte an das Geld. Wenn es gut lief, würde er ein wenig Geld bekommen, das hatten sie ihm versprochen. Sollte es nicht so gut laufen, würde er nichts bekommen. Er wollte das Geld haben. Es wusste doch, wie es zu Hause aussah, wo es immer nur gerade so viel Geld gab, wie sie unbedingt brauchten. Nie genug für etwas anderes, was seine Mutter und er zusammen unternehmen könnten. Wie manche seiner Spielkameraden es mit ihren Eltern taten, die gemeinsam in den Vergnügungspark Gröna Lund gingen oder so. Das konnten sie sich nicht leisten.
    Sagte seine Mutter.
    Deshalb wollte Acke ihr das Geld geben. Er hatte

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